November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
ja, aber das hat sie nur getan, um mich zu reizen, das weiß ich schon, und das reizte mich wirklich noch mehr. Ich konnte, ich konnte nicht dulden, daß sie sich mir versagte.«
Becker sah nach der Decke: »Eigentlich hast du sie vergewaltigt.«
»Das mache ich mir zum Vorwurf, Becker, und darüber leide ich so gräßlich. Denn ich liebe sie! Ich liebte sie, seitdem ich sie sah. Und jetzt möchte ich das von mir abwaschen. Bekker, aber das hab’ ich schon öfter gehört, und das glaub’ ich auch: es ist unmöglich, eine Frau zu vergewaltigen, wenn sie durchaus nicht will. Schließlich muß sie doch wollen. Wenn sie nicht grade bewußtlos wird. Und das war sie nicht.«
»Woher weißt du das?«
»Sie sprach ja. Sie hielt mich umschlungen.«
»Umschlungen?«
»Wenigstens zuletzt. Was sie sagte, weiß ich nicht. Und das ist meine Hoffnung: Zuletzt wenigstens war sie nicht böse. Ich konnte ihr Gesicht im Korridor nicht erkennen. – O Becker, habe ich mich nachher geschämt. Und schäme mich noch jetzt. Ich könnte mich zerreißen.«
»Es scheint, sie hat dir zuletzt verziehen.«
Maus, glücklich, faßte Beckers linke Hand, die schlaff herunterhing: »Ja, sag mir das. Sie hat mir verziehen. Sie verachtet mich nicht. Ich habe sie nicht geschändet, ich könnte mir das nicht vergeben.«
»Solche Reue hast du, Maus?«
»Furchtbar, grausam. Wenn die Gedanken kommen, leide ich Höllenqualen. Ich bitte dich um Hilfe, Becker. Seitdem ich das getan habe, bin ich kein Mensch mehr.«
Becker drehte ihm langsam den Kopf zu und betrachtete Maus, der zusammengesunken vor ihm saß, das Gesicht in die Hände vergraben. Jetzt hob Maus das Gesicht: »Also was sagst du, Becker?«
»Daß du sehr bestraft bist. Daß du dich zu sehr bestrafst. – Sag mir nochmal: sie hat dich umschlungen? Und wie habt ihr nachher Abschied genommen, den letzten, letzten Abschied?«
»Sie war still und hat sich geschämt. Sie stand so da.«
Becker blickte wieder nach der Decke: »Ich glaub’ nicht an eine Kränkung, Maus. Frauen – wollen überrumpelt werden. Heute denkt sie mit Liebe an dich.«
Maus warf sich im Gang auf die Knie vor Becker und preßte seinen Arm an seine Brust: »Becker. Ist es wahr? Sag es mir. Das ist wahr?«
Plötzlich schluchzte Maus an Beckers Arm. Becker sagte von der Bank herunter: »Junge, Junge, du bist krank.«
Maus stammelnd: »Es ist solche Gemeinheit, was ich mir da eingebrockt habe, und ich wollte es doch gar nicht. Was ist das für eine Niedertracht, daß ich tun muß, was ich gar nicht will. Ich hasse mich. Ich spucke mich an. Ich verstehe es nicht.«
»Man muß nicht alles verstehen wollen, Junge. Mach dich nicht verrückt. Was hast du für ein zartes Gewissen.« »Hab’ ich sonst gar nicht, Becker. Nur in diesem Fall. Ich hab’ sie so ungeheuer lieb und möchte sie behalten.«
»Wirst du.«
Maus stand auf und ließ sich auf seine Bank fallen. »Ach bin ich selig. Ich bin befreit. Nun ist sie wieder da. Nun hab’ ich mich wieder. Gott sei Dank. Gott sei Dank.«
In dieser Nacht kam es Becker im Traume vor, als wenn eine Stimme um ihn tönte, eine tiefe Männerstimme, und eine weiße väterliche Gestalt im Gang des Wagens stand und sich zu ihm herabbückte.
In Freude und Süßigkeit löste sich sein Inneres auf.
»Du arme verlassene Seele, in welcher Drangsal steckst du. Nicht einmal seufzen und klagen kannst du.«
»Geh nicht so rasch weg, heute.«
»Eine lange Geschichte hast du erzählt, wie du im Körper erstorben warst und kamst zum Leben. Und kamst du zum Leben?«
»Geh nicht so rasch weg.«
»Der leidige Feind liegt auf der Lauer. Wo eine Bresche entsteht, stellt er sich ein. Laß es nicht zu. Eine jegliche Pflanze, die der himmlische Vater nicht gepflanzt hat, wird ausgerottet werden.«
»Hilf mir.«
»Vergiß meiner nicht, arme verlassene Seele. Denk an das Wort von den beiden Menschen, die in den Tempel gingen, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand und dankte Gott, daß er nicht war wie andere Leute, wie Räuber, Ehebrecher oder wie dieser Zöllner. Der Zöllner wagte nicht die Augen zu Gott zu heben, schlug sich an die Brust und sprach: Gott sei meiner Seele gnädig. Dieser ging gerechtfertigt nach Haus. Denn den Sündern, den Leidenden, den Armen wird Gnade zuteil und sie empfangen Seligkeit.«
»Und ...«
Becker wollte etwas sagen. Da wachte er von seinem eignen Stöhnen auf. Der Wagen war finster, Maus schlief fest. Becker
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