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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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abgewöhnen konnte, gemäß ihrer stillschweigenden Verabredung die Blätter zum Fenster hinaus. Nach dem Kaffee (alles Geschirr stand am Boden, es wurde erst abends abgeholt) prüfte Maus Beckers Gesicht, es schien wohlwollend. Er faßte Mut.
    »Hat dich das sehr angestrengt?«
    Becker nickte: »Die Entzifferung eines verstümmelten Textes ist leichter, immerhin – du willst etwas?«
    Sie saßen sich gegenüber in einer Fensterecke. Maus kam nicht mit dem Wort heraus, er fand nicht den richtigen Anfang. Er lächelte unsicher: »Eine kleine Frage. Aber ich habe nicht die geringste Ahnung, ob du dich damit abgeben wirst.«
    »Mut, Maus. Ist es wegen Frauen?«
    Maus erleichtert: »Ja.« Aber er sagte nichts weiter.
    Becker schmunzelte, atmete tief und wartete.
    Maus: »Ich schäme mich, dich danach zu fragen. Es ist – nicht erfreulich für mich. Das Ganze quält mich.« »Also darum kannst du nicht schlafen, seit wir unterwegs sind. Sehnsucht, wegen Hilde, oder wegen einer andern?« »Sehnsucht, das versteht sich von selbst. Aber die Unklarheit und die Pein.« »Nun, nun, Maus.« »Ich schäme mich.« »Vor mir, Maus?« »Nicht doch, oder ja, auch. Aber vor mir. Es quält mich so. Ich finde mich mit etwas nicht – zurecht.« »Nun hast du mich richtig neugierig gemacht, Junge, schieß los. Du bist nicht anzusehen, wie du herumwürgst. Bist doch schließlich kein armer Sünder und ich der Büttel mit der Peitsche.«
    »Das Peitschen besorge ich selbst, Becker, seitdem wir fahren. Ach, wenn du mir doch eine gute Lösung geben könntest. Du kennst sie ja, Hilde.« »Ja.« »Sie hat am vorletzten Tag, am Mittwoch, von uns Abschied genommen. Du erinnerst dich. Ich – hab’ mich nicht mit dem Abschied begnügt, es war mir zu formell. Ich hab’ sie nochmal gesehn.«
    »Wann?« »An dem Nachmittag, am Mittwoch, Becker. Sie hielt sich im Saal und bei den Leuten auf, ich lag immer auf der Lauer, ich wollte und mußte sie noch ein letztes Mal sehen und sprechen. Es stand für mich viel auf dem Spiel.«
    Becker: »So ernst ist das, ah! Ich wußte es gar nicht.« Maus richtete sich auf: »Du wußtest es nicht? Du hieltest es für eine Liebelei, eine Lazarett-, eine Etappenangelegenheit?« »Natürlich, du hast dich jedenfalls sehr versteckt, wenn es anders ist. Also – es ist anders geworden.« Maus dachte nach: »Du hast recht, in den letzten Tagen.«
    Becker saß, wie immer, auf vielen Kissen wegen seiner Wunden. Er schob sie unter sich zurecht, darauf schlug er die Arme über der Brust zusammen und saß da.
    Maus war endlich im Fluß: »Was du mir nun sagen sollst, worin du mich aufklären sollst, das ist eine sehr delikate Frage. Ich stelle sie in tiefster Vertraulichkeit an dich. Ich vertraue dir, Becker. Ich verlange nicht von dir dein Ehrenwort, daß du schweigst. – Wenn eine Frau sich einem hingibt, ist sie dann wirklich seine? Meint sie das?«
    Becker drehte den Kopf gegen die Wand.
    Erst nach einer Weile sagte er: »Warte einen Augenblick. Ich denke nach.« Er arbeitete an seinen Kissen. Maus half, er legte sich waagerecht: »So ist es besser.« Mit seiner ruhigen Stimme, den Blick auf Maus gerichtet, meinte er: »An sich – denke ich schon. Sie meint, daß sie sein ist. Warum zweifelst du?«
    »Wegen der Nebenumstände.«
    Und Maus stöhnte und raufte sein Haar, und unglücklich flehte er zu Becker herüber: »Hilf mir doch, Becker. Ich schlage mich so damit herum. Ich mache mir solche Vorwürfe. Ich habe sie vielleicht gekränkt, beleidigt, mehr als das. Vielleicht ist zwischen ihr und mir nun alles aus. Sie wollte ja nicht. Es war an dem Abend, wo solch Trubel war, wo die Leute stahlen. Da erwischte ich sie endlich auf unserm Korridor. Und ich wollte und mußte sie sprechen. Ich war so erregt, so unaussprechlich erregt; es war das letzte Mal, daß ich sie sah, und wann werde ich sie wiedersehn, so, und so dicht und allein. Und sie wollte weg. Und da waren wir vor Richards Zimmer, du weißt, wo er gelegen hat, und da kamen wir hinein, ich machte die Tür zu.«
    »Und?« fragte Becker.
    »Ich war eifersüchtig auf Richard, obwohl er tot ist. Ach Gott, ich weiß nicht, was ich dir erzähle. Sie sträubte sich, ich war so aufgeregt, ich fühlte sie an mir, ich wollte sie haben, ich mußte sie haben, ich glaube, Becker, ich hätte in diesem Augenblick einen Mord begangen, wenn mich einer von ihr gerissen hätte. Sie wollte nicht. Ich frage sie: ›Ist es Richards wegen? Hast du Richard geliebt?‹ Und sie sagt

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