November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
ordnete seine Decken. Schlaftrunken und ohne Gedanken legte er den Kopf zurück.
Die Wagen rollten.
Der Chefarzt
Es ging immer so weiter mit dem Chefarzt. Die Rötung an dem linken Bein dehnte sich über das Knie aus, man machte täglich Umschläge, versuchte es auch einen Tag mit einer Salbe, aber das Richtige fand man nicht. Man zog um die Ränder einen Jodstrich und legte darum einen dünnen Heftpflasterstreifen, das sollte die Rose eindämmen, er schien es auch zu tun, dann aber züngelte sie plötzlich wieder darunter weg und machte einen Vorstoß. »Kriegen wir schon, kriegen wir schon«, besänftigte der Oberarzt, »den Ausbrecher fangen wir ein«, und begann abermals die magische Jodmalerei und spannte, unterstützt von der Frau Oberstabsarzt, den rosa Heftpflasterrahmen um das Ganze. Die Temperatur ging herauf und herunter. Ging sie herauf, so sagte man wissenschaftlich, »das gehört zur Sache«; ging sie herunter, so freute man sich, »na also«, und der gute Oberstabsarzt, dessen Körper sie so verwalteten, strahlte befriedigt oben sowohl über das Herauf wie das Herunter.
Er war immer guter Laune. Er sagte, sein Herz sei in keiner Zeit so fest gewesen. Er freute sich zu liegen, sich gründlich auszuruhen, das kann man nur, wenn man krank ist. Herrlich waren auch (aber davon erzählte er nichts) nachmittags die Träume; er bekam bald heraus, daß sie mit dem Fieber zusammenhingen. Er kämpfte hart mit dem Oberarzt, der ihm ein Fiebermittel geben wollte. »Das schwächt den Körper, das schwächt die Widerstandskraft«, erklärte er seinem Doktor, »ich werde doch meinen Körper kennen. So was beachten Sie Chirurgen nicht. Gehn Sie mir mit den Giften.« Sie einigten sich dann angesichts eines Argumentes des Kranken: »Das Fiebermittel verwischt außerdem die Kurve.« Das leuchtete dem Doktor ein, und so konnte der Chef weiter ruhen und unerhört träumen.
Am Sonntag gab es im Zug herrliche Blutwurst, die Küche lieferte das Beste, was sie hatte, auch das Fäßchen Wein, das man noch in dem Städtchen geschenkt bekommen hatte, ging an diesem Sonntag drauf. Es war der 17.November.
Und schon über acht Tage waren seit dem Ausbruch der Revolution vorbei. Grade an diesem Tage ereignete sich in dem Coupé des Chefarztes etwas Befremdendes. Als man das Mittagsgeschirr auf einer kleinen Station, wo man wieder einmal hielt, abholte und alles, was gehen konnte, vor dem Zug flanierte, sich nach Tagesnachrichten erkundigte, den Stationsvorsteher belagerte, um zu wissen, wohin es ginge, wie lange es noch dauerte – auf dieser kleinen Station hatte auch die Frau Oberstabsarzt ihr Coupé verlassen und unterhielt sich hinten mit Leutnant Maus, der zum Fenster heraussah. Wie sie da noch stand, kamen mehrere Leute gelaufen und riefen sie. Sie rannte erschreckt, auch Maus stieg aus. Es war ein kleiner Tumult vorn entstanden. Der kranke Chefarzt wollte im Hemd die Stufen seines Coupés heruntersteigen, man hatte ihn sofort bemerkt, er diskutierte freundlich, aber verwirrt mit den Soldaten, die ihn festhielten und ohne Schwierigkeit zurückdrängten. Seine Frau lächelte er schon wieder aus dem Bett an, seine Binden lagen am Boden. Der Oberarzt war bald da. Der Kranke fror und schüttelte. Gegen Abend sah er grauweiß aus, er war deutlich verändert, die Augen blickten friedlich wie immer, waren aber eingesunken und die Haut um sie gelb.
Der Chefarzt lag jetzt in dem Durchgangswagen, wo man besondere Fälle untergebracht hatte. Der Oberarzt zog die Frau in den Gang.
Sie blickten sich unter der Lampe an, der Arzt rieb das Innenleder seiner Mütze: »Wir sind in einer Stunde in Würzburg. Ich kann die Verantwortung nicht weiter übernehmen. Man müßte das Blut untersuchen, Serum geben, wir haben hier nichts.« »Sie wollen ihn ausladen, in Würzburg«, sie machte entrüstete Augen, »ich kenne da keine Seele.« »Es ist Deutschland, gnädige Frau, die Ärzte sind dieselben, Würzburg ist eine große Stadt.« Sie war nahe am Toben: »Warum haben Sie kein Serum mitgenommen, Sie sagten doch, Sie haben alles mit.« Er klappte ruhig die Mütze auf den Kopf, die Hand an der Türklinke: »Ich weiß nicht, welches Serum, das wird man erst nach der Blutuntersuchung bestimmen.« Sie ängstlich bittend bei ihm: »Ist es doch – eine Blutvergiftung?« Er die Achsel zuckend: »Man kann es nicht ausschließen.« »Von Hühneraugen, von einem Hühnerauge?« Sie schmollte, weinte bitterlich protestierend wie ein Kind, beide Hände an
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