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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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der Menschheit. In der roten Fahne kommt nach langen tierischen Wehen (die Kerls sind vollkommen übergeschnappt) endlich die Losung auf Menschlichkeit wieder zum Vorschein. Warum sollte sie beim französischen Soldaten keinen Anklang finden? Der preußische Militarismus ist versunken! Das deutsche Volk ist aus der Puppe geschlüpft, es ist derselbe flügge Freiheitskäfer wie das französische Volk. Im Sozialismus liegt der Born ewiger Jugend. Eine neue Zeit ist angebrochen.«
    Das unterschreibt Gevatter Schneider und Handschuhmacher. Aber wer das Blatt in die Hand nahm, legte es nicht hin, ohne einen Schlag erhalten zu haben.
    Es war der Vormittag des Freitag, am 15.November, als der Pfarrer mit dem Major in den Korridoren hin und her ging, beide in Zivil. Man blickte nach Bekannten aus, nachdem man sich an den Tagesnachrichten genug vergiftet hatte. Der Pfarrer jammerte in allgemeinen, ermüdenden Wendungen über Zerfall, Zuchtlosigkeit des Heeres draußen, dem Major ging das zum einen Ohr herein, zum andern heraus. Er führt den Pfarrer an die Zeitung mit dem Artikel über die rote Fahne am Münster und meint bissig: »Der preußische Militarismus ist versunken, und das deutsche Volk aus der Puppe geschlüpft. Was sagen Sie dazu? Im Sozialismus liegt der Born ewiger Jugend. Das ist nun Ihr Fach. Was sagen Sie dazu?« Der Pfarrer rang die Hände: »Phrasen.« »Wirksam.« »Wer weiß es.« »Da liegt der Hund begraben. Ihr von der Kirche hättet den Leuten auch so ein paar Brocken hinwerfen können. Vielleicht kommt’s noch. Was? Immer Anschluß suchen. Sich die Zügel nicht entreißen lassen.« Der Pfarrer blickte ihn zweifelnd an: »Sie glauben, Major, wir haben was versäumt?« »Es ist uns doch über den Kopf gewachsen. Denke mir nur, Sie müßten jetzt auch bald scharf ran mit solchen Parolen. Born ewiger Jugend. Ist mal was anderes. Stimmt’s?« »Doch.« »Suppen, Küche, Vaterlandstreue sind gut. Aber allein machen sie’s nicht.«
    Darauf begrüßten sie Durchreisende, die hier herumirrten wie sie, man horchte sich aus. Es gab keine Parole, man sah sich an und war mißtrauisch. Der Major fluchte, als er wieder zu dem Pfarrer stieß: »Es ist ekelhaft. Von Schlappschwänzen ist man umgeben. Man glaubt nicht, daß das Kameraden waren, wagen nicht, vor einem den Mund aufzumachen. Wenn sie so feige sind, verdienen sie ihr Schicksal.« Er schäumte, ging mit langen Schritten, der Pfarrer mußte sich eilen, um mitzukommen.
    In einer Ecke vor einem Garderobenständer machte der Major halt: »Wie lange bleiben Sie in Straßburg? Ich habe genug. Die Franzosen kommen nicht vor dem Zwanzigsten. Die Etappe taugt nichts; das hat zu gute Tage gehabt. Ich warte im Inland, ich denke Berlin, die Kameraden von der Front ab.«
    Er legte einen Arm auf die Schulter des Pfarrers und flüsterte ihm ins Ohr: »Yorck! Konvention von Tauroggen!« Der Pfarrer sah ihn an und begriff sofort: »Sie meinen, doch noch eine Erhebung?« »Hab’ ich nicht gesagt. Das ist in weitem Feld. Weiß nicht, ob Sie und ich das erleben. Der Feind steht – im Land! Die rote Fahne auf dem Münster. Wenn ich über Artillerie verfügte, würde ich sie noch heute mit Kanonen herunterholen. Ich denk’ mir eine Volksbewaffnung in Form eines Landsturms, Errichtung einer neuen Art Landsturm.« »Heimatschutz.« »Sie müssen mitarbeiten, Pfarrer. Es kommt auf Parolen an. Man wird anders vorgehen als unter Napoleon. Aber man muß anfangen, bevor das Heer auseinanderläuft. Die Roten werden alles dransetzen, das Heer aufzulösen. Es muß zusammenbleiben, solange wie möglich.« Der Pfarrer drückte ihm die Hand.
    Der Major: »Freut mich. Ich geh’ nach Berlin zu meinem Truppenteil. Ihre Adresse hab’ ich und Sie meine.« »Ich werde in den nächsten Monaten viel freie Zeit haben, Major, ich werde Sie aufsuchen.« »Bravo. Können Sie noch ein paar Tage hier bleiben, um den und jenen auszukundschaften? Sie haben eine große Bekanntschaft, westfälische Truppenteile, im Ernstfall sind Sie in einer halben Stunde über den Rhein in Kehl.« »Vielen, vielen innigen Dank, Major. Mein Herz schlägt schon ruhiger.« »Lassen Sie Ihr Herz, Pfarrer. Passen Sie auf, daß man Sie nicht reinlegt. Die Roten haben scharfe Kerle bei sich, die kurzen Prozeß machen. Sie wissen, wie sie uns bei der Beerdigung der beiden Meuterer angefaßt haben.«
    Darauf verabschiedete sich der Major sehr rasch, denn der betrübte Oberförster, Verwandter des Generals, war in Sicht. Er

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