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Novemberasche

Titel: Novemberasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Haus einer anderen gewartet,
     und das war noch nicht einmal so lange her.
    Von der Klinik war Marie direkt nach Hause gefahren, und zu Hause hatte sie, noch im Mantel, nach dem Telefonbuch gegriffen
     und nach Stella Siebert gesucht, Eriks Freundin oder was immer sie für ihn gewesen war. Sie hatte sie gefunden. Eine halbe
     Stunde später hatte sie vor Stella Sieberts Wohnung Posten bezogen. Nun wartete sie darauf, dass sich irgendetwas tat.
    Ob ich sie überhaupt wiedererkenne, fragte Marie sich wohl zum fünften Mal. Sie kniff die Augen zusammen und schaute durch
     die tropfenbenetzte Windschutzscheibe. Ihr Blick folgte einer schmalen dunkelhaarigen Frau in einem beigen Trenchcoat, die,
     ein kleines Mädchen an der Hand, auf einen schwarzen Jeep zusteuerte. Das Kind würde ja passen, vom Alter her. Aber hatte
     die Frau auf Eriks Trauerfeier nicht kurzes Haar gehabt, kurz und blond, das vom Kopf abstand? Marie beobachtete, wie die
     Frau das Kind auf dem Rücksitz festschnallte.
    Wieder wischte sie mit dem Ärmel über die beschlagene Scheibe, wieder blickte sie an dem Haus empor. Es war grün und hatte
     vier Stockwerke, und der Klingeltafel nach musste Stella Sieberts Wohnung eine der beiden oberen sein. Gerade als sie überlegte,
     ob sie sich irgendwo einen Kaffee holen sollte, sah sie erneut jemanden aus dem Haus kommen. Die Frau trug eine peruanische
     Mütze und Marie folgte ihr mit dem Blick. Sie war sich nicht sicher, aber irgendwie kam ihr die Frau bekannt vor. Schließlich
     glaubte sie fest, in ihr die Frau vom Friedhof wiederzuerkennen. Ja, dachte sie. Das ist sie. Das ist Stella Siebert.
     
    Marie streifte durch den Verkaufsraum und tat so, als interessierte sie sich für Gott weiß was für Oberteile, die Gott weiß
     welchem Zweck dienten. Sie war der Frau mit der peruanischen Mütze gefolgt, durch die Stadt, hinausin Richtung Tettnang bis nach Ravensburg, hatte drei Parkplätze neben ihr den Landrover abgestellt und war ihr hinterher in
     ein großes Sportgeschäft gegangen. Dort war die Frau geradewegs durch eine Hintertür verschwunden und schließlich wieder aufgetaucht,
     ohne Mütze und ohne Jacke. Marie hatte sie jetzt zweifelsfrei wiedererkannt und festgestellt, dass Stella Siebert in diesem
     Sportgeschäft arbeitete.
    Marie strich weiter zwischen den Ständern umher. Sie musste einen Plan entwickeln, sie musste die Frau irgendwie ansprechen,
     mit ihr ins Gespräch kommen. Ihr Blick glitt erneut über einige Oberteile, deren Zweck sich ihr nicht erschloss. Vielleicht
     sollte ich mich mal
darüber
mit ihr unterhalten. Früher hatte man halt einen Trainingsanzug, dachte sie. Heute gibt’s für alles genau definierte Funktionsbekleidung.
     Nur bewegen muss man sich immer noch selbst, dachte sie und erschrak, als jemand sie von hinten ansprach.
    »Suchen Sie etwas Bestimmtes? Kann ich Ihnen vielleicht etwas zeigen?«
    Marie drehte sich um und wollte gerade abwinken, als sie sah, wen sie vor sich hatte. Sie war es, Stella. Sie lächelte zurück
     und überlegte fieberhaft, was sie sagen sollte. Obwohl sie hierhergekommen war, um die Frau unter die Lupe zu nehmen, war
     sie nicht darauf gefasst gewesen, ihr so unvermittelt Auge in Auge gegenüberzustehen, geschweige denn mit ihr zu sprechen.
    Stella Siebert hielt noch immer ihren Blick auf sie gerichtet, als Marie sich sagen hörte: »Ja   … gern. Wissen Sie, ich interessiere mich fürs Fallschirmspringen und wollte mich mal erkundigen, was man da für Klamotten
     trägt. Und wie viel so eine Ausrüstung kostet.« Ja, dachte Marie, das ist ein Kunstgriff. Sie lächelte ihr Gegenüber zufrieden
     an und fühlte sich ausgesprochen listig. Listig und ausgebufft.
    »Da sind Sie bei mir an der richtigen Adresse! Haben Sie denn schon Sprungerfahrung?«
    »Nein   … aber ich hab zum Geburtstag einen Tandemsprung bekommen   … weil ich das immer schon mal machen wollte. Und das hat mir   … supergut gefallen.« War das der richtige Tonfall, den man anschlug, wenn man zu dieser Sorte Mensch gehörte? Marie hielt
     den Blick fest auf Stella gerichtet, so, als könnte sie im Gesicht der Frau irgendetwas erkennen, eine Wahrheit lesen, die
     ihr weiterhalf.
    »Ich überlege mir, einen Kurs zu machen«, fügte sie forsch hinzu und war richtig zufrieden mit sich. Gut so, Marie, sagte
     sie sich, du bist auf dem richtigen Weg.
    »Wo haben Sie den Tandemsprung denn gemacht?«
    »Das? Oh   … das war im Urlaub. In Spanien.«
    »Und wo

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