Novemberasche
genau?«
Marie stutzte und kam sich auf einmal bedeutend weniger ausgebufft vor als noch vor einer Minute.
»Moment mal, wie hieß das gleich?« Sie runzelte die Stirn und versuchte so auszusehen, als würde ihr der Name des Orts gleich
einfallen.
»Bollullos de la Mitación?«
Für Marie hörte sich das an wie dadadadadadadadamm, wie eine Maschinengewehrsalve.
»Bollullos de la Mitación, bei Sevilla.«
Maries Gesicht breitete sich zu einem Lächeln aus, einem Lächeln der Erleichterung. »Klar, genau da …«
»Und wo möchten Sie Ihre AF F-Ausbildung machen?«
AFF. Was war denn das nun wieder? Verdammt.
»Tja … Ich bin mir noch nicht ganz sicher. Vielleicht können Sie mir da was empfehlen.« Marie lächelte wieder, nun etwas unsicherer.
Was tat sie hier eigentlich? Sie hatte doch nie und nimmer vor, aus einem Flugzeug zu springen! Schließlich war sie daran
interessiert, noch eine Weilezu leben. Aber jetzt musste sie den Faden wohl oder übel erst noch weiterspinnen.
»Die
Nuggets
in Leutkirch. Aber dann müssen Sie sich beeilen. Der letzte Kurs in dieser Saison startet morgen. Dann ist Winterpause.«
»Oh.«
»Ja, der Sprungbetrieb geht danach erst im Februar wieder los.«
»Morgen? Das ist ziemlich kurzfristig …«
»Wie gesagt, morgen oder wieder im Februar. Ich bin übrigens eine der Kursleiterinnen.«
»Ach ja?« Da sah die Sache natürlich gleich ganz anders aus. Aber wie sollte sie das mit den Kindern machen?
»Vielleicht können Sie’s ja einrichten. Sind ja nur drei Tage. Was arbeiten Sie denn?«
»Ich bin freiberuflich … Malerin.«
»Na also, da sind Sie doch sicher flexibel! Ich bin übrigens Stella.« Sie reichte Marie die Hand.
»Freut mich. Ich heiße Marie.«
»Aber … sag mal«, hakte Stella nach, »kennen wir uns nicht von irgendwoher? Mir kommt’s grad so vor, als ob wir uns schon mal gesehen
haben.«
Auf Eriks Trauerfeier, schoss es Marie siedendheiß durch den Kopf. Aber gleich darauf entspannte sie sich wieder. Am Tag der
Trauerfeier hatte sie die Haare zurückgebunden gehabt und eine Mütze auf dem Kopf. Jetzt ringelten sich ihre Locken wirr um
ihr Gesicht. Nein, es war unmöglich, dass Stella sie wiedererkannte.
»Hm. Vielleicht, weil ich schon öfter hier im Geschäft war.« Eine weitere Lüge, das kommt ja immer dicker, dachte Marie voller
Unbehagen.
»Das ist möglich!«, sagte Stella und lächelte Marie forsch und selbstbewusst an. So selbstbewusst, dass Marie sich noch unbehaglicher
fühlte. Vielleicht wird manso, wenn man aus Flugzeugen springt, dachte sie und lächelte zurück.
»Um zum Thema Ausrüstung zurückzukommen. Für den Kurs brauchst du erst mal gar nichts. Es reicht, wenn du in bequemer Sportkleidung
kommst, in Schuhen, in denen du guten Halt hast. Du kriegst dann ja einen Overall von uns. Also was ist? Einen können wir
noch nehmen.«
Marie zögerte einen kurzen Moment. Dann hatte sie sich entschieden. Es war eine Möglichkeit, diese Frau näher kennenzulernen.
»Ich hab Laufschuhe, kann ich die nehmen?«
*
Die Mitarbeiter der SOKO Martìn schwärmten in alle Richtungen aus. Zeugen im direkten Umfeld von Matthias Wölfle wurden befragt,
Nachbarn, die gesamte Lehrerschaft, sein Freundeskreis.
An jenem Freitagnachmittag war er tatsächlich bei seinem Freund gewesen, und er hatte wie gewöhnlich gegen 18.00 Uhr den Weg hinunter zum Anleger eingeschlagen. Der Anruf beim Vater war um 18.33 Uhr eingegangen. Seitdem fehlte von dem Jungen jede Spur. Was war nach 18.00 Uhr geschehen? Wen hatte Matthias Wölfle auf dem Weg zum Katamaran getroffen?
Sommerkorn konnte an nichts anderes denken, als er am frühen Abend die Polizeidirektion in der Ehlersstraße verließ, um seine
beiden Nichten in ihr neues Zuhause bei Marie zu fahren. Dabei sollte er dringend im Büro sein. Er fühlte sich ausgelaugt
und war verschwitzt, seine Schultern waren verspannt und seine Augäpfel brannten. Er war sogar zu müde, um Musik zu hören.
Der Berufsverkehr mischte sich mit Fahrzeugen von Leuten, die vom Einkaufen kamen, und während Sommerkornstadtauswärts im Stau stand und auf den Drahtzaun blickte, der das Werksgelände der
ZF
umgab, dachte er wieder an Leander Martìn und an die Verletzungen an seinen Handgelenken. Was war das für ein Junge gewesen?
Das, was sie bisher erfahren hatten, passte nicht zusammen, ergab kein richtiges Bild. Oder besser gesagt: Es ergaben sich
zwei Bilder, die absolut
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