Novemberasche
zehnten, sagn Sie?«
»Ja. Walser, Manfred.«
Der Mann tat noch ein paar Tastenschläge und sagte mit völlig ausdrucksloser Miene: »Joooderwordo.«
»Bitte?«, fragte Barbara irritiert. Immerhin war sie erst vor fünf Jahren von Köln an den See gezogen und hatte sich sprachlich
noch nicht völlig an die dialektale Vielfalt des Dreiländerecks gewöhnt.
»Ja. Der. War. Da«, wiederholte der Mann. Sommerkorn grinste.
»Das ist ja fast zu schön, um wahr zu sein«, erwiderte Barbara jetzt.
»Die Reservierung ist online eingegangen, und der Mann hat das Zimmer bar bezahlt.«
»Erinnern Sie sich an den Gast?«, fragte Sommerkorn.
Der Mann hob seine müden Lider vom Bildschirm und heftete seinen Blick auf Sommerkorn.
»Na ja …«
Zähfließender Verkehr ist nichts gegen den, dachte Sommerkorn.
»Können Sie ihn beschreiben?«
»Wenn’s der ist, an den ich denke. Er hatte kurze braune Haare und einen Bart. Mittelgroß, würde ich sagen. Trug eine braune
Lederjoppe.«
»Kam er allein?«
Ein hintergründiges Lächeln öffnete sich auf dem blassen Gesicht des Mannes und ließ seine Gedanken erahnen.
»Zuerst schon.«
»Zuerst?«
»Ja, als er ankam.«
»Und dann? Hat er Besuch bekommen?«
»Als er ankam, sagte er, es würde noch jemand kommen. Das war alles. Ein wenig verhalten kam er mir da vor. Aber dann hab
ich verstanden, warum.«
»Ja?«
»Ja. Irgendwann ist dann so ein junger Bursche gekommen, wollte hier einfach so durchmarschieren. Und da hab ich ihn gefragt,
wo er denn hinwolle.«
»Und? Wo wollte er hin?«, fragte Barbara und versuchte mühsam, ihre Ungeduld zu unterdrücken.
»Auf Zimmer 112. Und er meinte, er werde dort erwartet. Ich fragte, ob ich für ihn anrufen solle, aber das wollte er nicht.«
»Und da ist der junge Mann dann auf Zimmer 112 gegangen? Können Sie ihn beschreiben?«
»Gut hat er ausgesehen, blass, groß, schlank, und er hatte blondes Haar.«
»War es dieser junge Mann?«
Als Sommerkorn das Foto aus seiner Manteltasche zog und es dem Mann hinhielt, nickte dieser. »Ja.«
»Der Gast, Walser, der das Zimmer reserviert und bezahlt hat, ist er das?«
Sommerkorn zeigte ihm das andere Foto. Und der Mann hinter dem Tresen nickte erneut. »Ja, das ist er.«
Sommerkorn und Barbara wechselten einen kurzen Blick.
»Um noch einmal darauf zurückzukommen: Der junge Mann ist dann also auf Zimmer 112 gegangen?«, fragte Barbara.
Der Mann nickte. »Zuerst schon. Aber der war so schnell wieder hier unten, so schnell hab ich gar nicht schauen können. Regelrecht
rausgerannt ist er, als wenn der Deiwel hinter ihm hergewesen wär.«
☺
Unsere Städte versinken immer tiefer im Morast, wenn wir nicht endlich etwas tun. Sagt ER. Unten am Hafenbahnhof lungern Besoffene herum, an der Konzertmuschel am See, am Bahnhof. Bald werden es noch mehr sein. Wenn
wir nicht Einhalt gebieten.
*
»Wer von euch dreien will denn zuerst springen?«
Ron blickte fragend von Hartmut zu Bernd, dann zu Marie. Marie zuckte die Achseln und lächelte. Wenn sie jetzt sofort verzichtete,
würde sie nur unnötig Verdacht erregen. Schließlich glaubten alle, sie sei hier, weil sie Fallschirmspringen wollte.
Hartmut zog eine Streichholzschachtel aus der Hosentasche, brach ein Streichholz ab und ließ erst Marie, dann Bernd ziehen.
Bernd hatte das kürzere gezogen. Er würde also bis zum nächsten Flug warten müssen, denn es konnten immer nur zwei springen.
Fünf Minuten später reichte Jojo Marie den Overall, ein hellblau und weinrot gemustertes Ding, sowie den Höhenmesser und die
Brille.
Marie begann den Overall über ihre Jogginghose zu ziehen und legte sich den Höhenmesser um die Hand. Sie kontrollierte, ob
er auf null stand. Jojo lächelte ihr zu, ganz lässig. Was für ein Typ, dachte sie, ein Riese, breitschultrig. Sie blickte
hinüber zu Hartmut, der bereits mit dem Anlegen des Gurtes beschäftigt war. Jetzt oder nie, dachte sie und hob an: »Sag mal … Ich hab da was gehört. Dass hier vor kurzem ein Fallschirmspringer umgekommen ist. Stimmt das?«
Jojos Gesichtsausdruck verfinsterte sich. »Stimmt.«
»Aber …« Marie zögerte. Sie stieg in ihren Gurt undversuchte gleichgültig auszusehen. »Wie ist denn das passiert?«
Jojo sah sich kurz um. »Wir sind eigentlich nicht scharf darauf, das an die große Glocke zu hängen. Der Mann, der da ums Leben
gekommen ist, Erik, war ein sehr erfahrener Springer. Wir können das alle immer noch
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