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Novemberasche

Titel: Novemberasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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nicht fassen   …«
    Marie zog die Beingurte fest, faltete die Überlängen und steckte sie weg, damit sie ihr nachher bei zweihundert Stundenkilometern
     keine blauen Flecken schlugen. Dabei betrachtete sie Jojo aus dem Augenwinkel. »Aber   … Wie konnte das dann passieren?«
    »Er war unter Strom.«
    Marie sah zu Jojo auf, ließ ihren Blick über sein Gesicht gleiten. »Unter Strom? Was meinst du damit?«
    »Na ja, er hatte an dem Tag Drogen genommen.«
    Marie schloss den Brustgurt. »Aber das ist ja Wahnsinn.«
    »Exakt.« Jojo streckte die Hände nach ihrem Brustgurt aus und lockerte ihn wieder ein wenig. Flüchtig lächelte er sie an.
     »Wenn du ihn so eng machst, behindert er dich in der Box-Position.« Dann griff er nach ihrem Sicherungsautomaten und schaltete
     ihn ein.
    Marie schwieg einen Moment. Sie wollte aber noch nicht lockerlassen. »Aber der Cypres   … Warum ist der Reserveschirm nicht aufgegangen?«
    »Irgendwie hatte Erik verpennt, ihn umzustellen. Er war vorher am Mittelmeer springen.«
    Marie dachte nach. Wie sollte sie das Gespräch weiterführen, wie auf Erik und sein Privatleben bringen? Mein Gott, wenn sie
     doch nicht so ungeschickt wäre in diesen Dingen. Sie holte Luft und sagte: »Wie schrecklich für die Angehörigen von   … wie hieß er noch   … Erik.«
    Jojo nickte. Dann sagte er langsam, beinahe verhalten: »Ja.«
    Marie betrachtete Jojo. Er wirkte bedrückt. Aber da war noch etwas, ein anderes Gefühl, eine Anspannung. Für einen Moment
     blickte er zu Stella, die über einen Schirm gebeugt dastand. Die kleine Cheyenne hüpfte um sie herum, rief irgendetwas. Sein
     Blick verdunkelte sich, und Marie fragte sich, woran er jetzt wohl dachte.
     
    Der Kerosingeruch verursachte ihr Übelkeit. Vielleicht war es auch das Wissen, dass es gleich so weit war. Marie ging hinten
     um das Flugzeug herum, so, wie man es ihr eingebleut hatte. Ron, der Pilot, wartete bereits neben der Maschine. Sie setzte
     den Helm auf, ein weißes Ding mit integriertem Funkgerät. Der Höhenmesser an ihrer Hand stand auf null. Sie folgte Rons Blick,
     der auf Stella und auf Cheyenne gerichtet war, die ihrer Mutter einen Kuss auf die Backe gab.
    »Niedlich, das Kind«, sagte Marie zu Ron.
    Ron lächelte schief. »Ja. Sie ist ein lustiger kleiner Vogel. Unser Maskottchen. Freust du dich auf deinen ersten Sprung?«
    Maries Lächeln war etwas unsicher.
    »Klar. Deswegen bin ich hier.« Schweigen. Dann sahen die beiden wieder zu Stella und dem Mädchen hinüber. »Alle hier kümmern
     sich so nett um die Kleine. Besonders jetzt, wo sie’s so schwer hat.« Marie hätte am liebsten die Augen zusammengekniffen,
     so beschämend fand sie ihre eigene Aufdringlichkeit.
    »Du weißt davon?« Ron wirkte überrascht.
    Marie nickte ernst. Sie versuchte, Anteil nehmend und besorgt auszusehen. »Die arme Kleine. Keinen Vater mehr zu haben.«
    Ron kratzte sich am Kopf, er legte die Stirn in Falten und ließ Marie keine Sekunde aus den Augen. Dann wanderte sein Blick
     zu Stella, die jetzt in der Nähe des Bürosstand und mit Jojo sprach. Oder war es ein Streit? Marie sah genauer hin. Auch Jojo trug bereits einen Overall, denn er und
     Stella würden sie auf ihrem ersten Sprung begleiten, mit ihr zusammen mit zweihundert Stundenkilometern auf die Erde zurasen.
     Marie schluckte. Worauf hatte sie sich da bloß eingelassen?
    »Na ja«, hörte sie Ron plötzlich sagen. Es klang wie ein Seufzen. »So richtig in Depressionen werden die beiden nicht verfallen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Sie hat soeben eine ziemlich fette Lebensversicherung kassiert. Da heilt so mancher Schmerz ziemlich schnell ziemlich narbenfrei.«
    »Geld tritt doch bei so was erst mal in den Hintergrund.«
    Ron lächelte. Er wirkte ein wenig traurig.
    »Dass du so denkst, ehrt dich natürlich. Aber glaub mir, es gibt Frauen, die haben ein etwas anderes Weltbild als du.«
     
    *
     
    Noch am selben Nachmittag fand die Befragung von Oberstudienrat Walser in einem der Vernehmungsräume der Polizeidirektion
     Friedrichshafen statt. Das Zimmer war fensterlos, auf dem Tisch stand ein Aufnahmegerät. In dem Raum roch es nach neuen Möbeln,
     ein wenig schal.
    Sommerkorn schaltete das Aufnahmegerät ein.
    »Sie wissen, weshalb Sie hier sind.«
    »N… nein.« Walsers Stimme vibrierte.
    »Einer Ihrer Schüler, Leander Martìn, starb eines gewaltsamen Todes. Ein zweiter, der Leander sehr nahestand, wird seit Freitagabend
     vermisst. Zwei weitere Schüler haben

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