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Novemberasche

Titel: Novemberasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Leihwagenfirmen im Raum vor. Wir müssen diese Frau finden.«
    »Meinst du, sie ist die Mörderin?«, fragte Inkat.
    Sommerkorn zögerte. »Sie könnte die Mörderin sein. Sie könnte Walsers Komplizin sein, vergesst nicht, dass vieles nach wie
     vor gegen Walser spricht. Sie könnte aber auch«, sagte Sommerkorn und hielt einen Augenblick inne, »gar nichts mit der ganzen
     Sache zu tun haben. Sie könnte ganz einfach die letzte Person sein – außer dem Mörder natürlich   –, die Leander Martìn lebend gesehen hat.«
    »Warum hätte sie dann das Nummernschild schwärzen sollen?« Barbara schüttelte ungläubig den Kopf.
    »Vielleicht gibt es da noch eine ganz andere Sache, die mit dem Mord gar nichts zu tun hat, sondern mit den Umtrieben dieser
     Bande   …«
     
    ☺
     
    Sie hat mich von der Schule genommen, einfach so, ohne Vorankündigung. »Wenn du nicht mit mir reden willst, muss ich eben
     handeln«, hat sie gesagt. Ab September bin ich weg. Sie hat mich nach Ravensburg verfrachtet. Ich kann es noch gar nicht fassen,
     dass ich morgen das letzte Mal durch die Gänge gehen, das letzte Mal in diesen Zimmern sitzen werde. Und mich das letzteMal von ihnen fertigmachen lassen muss. Vielleicht ist das ja tatsächlich die Lösung. Aus den Augen, aus dem Sinn.
     
    *
     
    Eva fuhr die Eugenstraße entlang. Sie blickte sich nicht um, sah weder nach rechts noch nach links; die Schultern waren hochgezogen,
     der Rücken gekrümmt, ein Buckel. Nur die Füße bewegten sich, stießen kraftvoll in die Pedale.
    Marie zögerte. Was sollte das? Warum fuhr sie Eva hinterher? Sie konnte ihr ja ohnehin nicht helfen, und am Ende würde Eva
     ihr Mitgefühl als reine Neugierde interpretieren. An der ersten Kreuzung wollte Marie abbiegen, um nach Hause zu fahren –
     schließlich hatte sie alle Hände voll zu tun   –, aber irgendetwas hielt sie davon ab. Sie folgte Eva, obwohl sie unentschlossen war und ein schlechtes Gewissen hatte –
     eine seltsame Mischung. Als Marie immer noch auf eine günstige Gelegenheit, Eva zu überholen und ein Zeichen zu geben, wartete,
     wurde ihr bewusst, dass Eva immer weiter stadtauswärts fuhr, durch Windhag und dann am Seewald vorbei. Sie ließ links die
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hinter sich, als der zähfließende Verkehr sich langsam aufzulösen begann. Marie musste Eva schließlich überholen, um nicht
     den Zorn der anderen Autofahrer auf sich zu ziehen und ein Hupkonzert auszulösen. In Fischbach hielt sie an einer Bushaltestelle
     und wartete. Ungeduldig fragte sie sich, ob Eva vielleicht rechts zum
Kaufland
abgebogen war, da tauchte sie wieder in ihrem Rückspiegel auf. Hinter Fischbach dachte sie endgültig, dass Eva sich wohl wirklich
     einfach Bewegung verschaffen wollte, denn sie bog rechts ab und fuhr zwischen den Feldern einen asphaltierten Weg entlang.
     Ja, dachte Marie, sie wird eine Runde drehen, um den Kopf freizubekommen.Kein Wunder nach diesem Tag. Marie fuhr rechts ran. Hier, auf diesem Weg war der Verkehrsstrom, in dem sie eben noch mitgeflossen
     war, abrupt abgebrochen. Außer ihr und Eva weiter vorne war niemand unterwegs. Marie sah Evas Rücken kleiner werden. Wahrscheinlich
     schlägt sie jetzt gleich einen Bogen zurück nach Friedrichshafen, dachte sie. Doch dort, wo der Weg sich gabelte, sah sie
     Eva geradeaus weiterfahren auf eine Schranke zu, die den Weg versperrte. Eva stieg vom Rad und durchsuchte eine rote Plastiktüte
     in ihrem Gepäckträger. Dann schob sie das Rad um die Schranke herum – und verschwand aus Maries Blickfeld.
    Was um alles in der Welt tat Eva hier? Marie zögerte, dann fuhr sie kurz an und parkte den Wagen hinter einem Baum. Sie zog
     ihre Mütze auf, schlüpfte in ihre Jacke und stieg aus.
    Die Landschaft hier berührte sie seltsam. Und eigentlich sah sie auch eher aus wie ein Stück Land, das der Mensch sich einmal
     zunutze gemacht und dann einfach vergessen hatte. Marie lauschte. Nichts. Kein Mensch war zu hören, kein Rascheln zu vernehmen.
     Hier schien es noch nicht einmal einen Vogel zu geben, der bereit war, diese dumpfe Tristesse ein wenig aufzulockern. Das
     einzige Geräusch war das leise Rauschen von der Straße. Diese Gegend hier wirkte geradezu abgelöst. Entlang der Stichstraße,
     die hinter dem Tor ihre Fortsetzung fand, blattlose Erlen. Das vom Winter müde Gras, der tiefe Himmel darüber, der dieselbe
     Farbe hatte wie Wischwasser. Marie drehte sich langsam einmal um sich selbst, ging dann ein paar Schritte zurück.

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