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Novemberasche

Titel: Novemberasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sich. Sie verlangsamte ihren Schritt. »Was wollen Sie?«
    »Frau Imhoff? Wir müssen Sie dringend sprechen – alleine.«
    »Mich? Aber warum denn?«
    »Dürfen wir einen Augenblick hereinkommen?«
    Sommerkorn und Barbara hielten Eva ihre Dienstausweise hin. Eva sah an den Papieren vorbei in Sommerkorns Gesicht. Marie nahm
     ihren Rucksack von der Garderobe und legte kurz ihre Hand auf Evas Arm. »Ich geh dann mal.«
    Eva nickte mechanisch.
    »Wenn ich dir irgendwie helfen kann, ruf mich an.«
    Die beiden Beamten traten ein, Marie wandte sich noch einmal um. Dann zog sie die Wohnungstür zu.
     
    ☺
     
    Ein Spießrutenlauf. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte. Heute haben sie in Mathe die Tafel aufgeklappt. www.youtube.de
     stand dort und der Hinweis: »for further details see…«. Alle haben sich gebogen vor Lachen, und der Walser hatte so ein fieses
     Grinsen im Gesicht. Kann es sein, dass sogar er Bescheid weiß? Und dann musste ich vor an die Tafel. Sie haben ihre dummen
     Witze gemacht, und dann ist etwas passiert, was ich noch nie erlebt habe: Ich konnte nicht rechnen. Es war alles weg. Meine
     Finger zitterten, die Kreide kreischte, brach ab. In meinem Kopf Nebel. Jetzt kann der Walser sich freuen. Als ich zurück
     an den Platz ging, sah ich in seinen Augen die pure Lust blitzen. Und SIE lächelten mir zu. Ich lebe in einem Albtraum.
     
    *
     
    Das Wohnzimmer schien daraus gemauert, aus erstickender, beklemmender Stille. Sie saß in den Steinen, den Wänden, dem Putz.
     Nicht einmal der Postkartentag vor dem Fenster konnte daran etwas ändern. Sommerkorn betrachtete die Frau, die blass und klein
     in dem wuchtigen Sessel vor ihm saß, und er spürte das Mitleid wie eine heiße Welle emporschwappen.
    »Tommy? Aber Sie wissen doch, was passiert ist. Sie sind doch von der Polizei.« Ihre Stimme war sehr leise und verlor sich
     im Raum.
    »Wir haben die Akte gelesen, die die Kollegen seinerzeit angelegt haben.«
    »Die Akte   …« Das Flüstern der Frau klang jetzt fassungslos, und Sommerkorn war überzeugt, das Falsche gesagt zu haben.
    Die Frau blickte ihn mit großen Augen an, und am liebsten hätte er auf der Stelle kehrtgemacht und sie in Ruhegelassen. Das alles wieder zu durchleben, indem man darüber spricht. Sommerkorn musste sich überwinden, ihrem Blick standzuhalten.
    »Er ist an jenem Abend nicht mehr wiedergekommen. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Und dann kamen zwei Polizisten,
     die mir sagten, dass er tot sei…« Sie verstummte. Dann holte sie tief Luft. Sie schien kaum die Kraft zu haben weiterzusprechen.
     »Ihre Kollegen haben mir gesagt, dass er von einer Brücke gesprungen sei, und das Verfahren wurde eingestellt.«
    Die Stille im Raum wurde immer dröhnender. Barbara rutschte unruhig auf dem Sofa hin und her.
    »Aber Sie haben das damals nicht geglaubt. Dass er gesprungen ist.«
    Sie wandte den Blick ab und schien endlos verloren in dem großen Sessel. Endlich sagte sie: »Was spielt das denn für eine
     Rolle? Was ich glaube.«
    »Frau Imhoff, ein Junge aus Kressbronn, ein ehemaliger Klassenkamerad von Tommy, ist ermordet worden. Ein zweiter – ebenfalls
     aus dem Umfeld, in dem sich Ihr Sohn zeitweise bewegt hat – ist verschwunden. Wir haben Grund zu der Annahme, dass der Tod
     Ihres Sohnes möglicherweise kein Selbstmord war und mit diesen beiden Fällen irgendwie in Verbindung steht.«
    Plötzlich schien die Frau aus ihrer Erstarrung zu erwachen, und ihre Stimme klang auf einmal klarer.
    »Sie glauben also, dass jemand meinen Sohn   … hinuntergestoßen hat?«
    »Das ist zumindest eine Möglichkeit, die wir im Licht dieser neuen Entwicklungen untersuchen.«
    Sie blickte auf und sah Sommerkorn jetzt direkt an. Ihre Augen waren ausdruckslos. Dann wiederholte sie tonlos das eine Wort.
    »Entwicklungen«, flüsterte sie. »Entwicklungen.«
     
    ☺
     
    Mam merkt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Beim Essen durchbohrt sie mich mit ihren Blicken, und immer wieder fragt sie.
     Fragt, fragt, aber wie könnte ich ihr davon erzählen? Was sie getan haben. Und vielleicht noch tun werden. Wenn ich sie verrate   … Aber natürlich ist Mam auch nicht blöd. Sie merkt, dass etwas geschehen ist.
     
    *
     
    Als Sommerkorn und Barbara eine halbe Stunde später aus dem Haus kamen, trat Marie hinter dem Fahrradschuppen hervor und ging
     auf die beiden zu.
    »Was wolltet ihr von Eva?«
    »Wie gut kennst du sie?«, konterte Sommerkorn.
    Marie wich Sommerkorns Blick aus

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