Novemberasche
und schwieg verbissen. Dann wiederholte sie die Frage mit anderen Worten: »Was ist mit Eva,
warum wolltet ihr sie sprechen?«
Sommerkorn überlegte. Dann gab er sich einen Ruck.
»Wir ermitteln immer noch in dem Mordfall des Jungen, den man auf dem Friedhof gefunden hat.«
»Und was hat
sie
damit zu tun?«
Sommerkorn wand sich unbehaglich unter Maries und Barbaras Blicken. Schließlich war es Barbara, die antwortete: »Sie hatte
einen Sohn, der mit dem Mordopfer in dieselbe Klassenstufe ging.«
»Tommy…«
»Ja. Was weißt du über ihn?«
»Nur, dass er tot ist. Menschenskinder, was wollt ihr von der armen Frau?«, brach es aus Marie heraus. Sie fühlte sich in
die Defensive gedrängt. Sollte sie Sommerkorn von ihren eigenen Ermittlungen erzählen? Eine bessere Gelegenheit wie diese
bot sich vielleicht so schnellnicht wieder. Aber natürlich wollte sie niemanden in die Pfanne hauen, mit irgendwelchen halbausgegorenen Theorien. Eine Weile
standen sie so auf der Straße herum.
»Wir sollten uns darüber noch einmal in Ruhe unterhalten. Bist du heute Abend zu Hause?«, fragte Sommerkorn schließlich.
Marie überlegte. Heute am späten Nachmittag hatte sich Helen angekündigt. Die Maries Werke in Augenschein nehmen wollte. Und
die Vorstellung, dass Sommerkorn und Zarah Leander sich in ihrem Haus begegnen sollten, behagte ihr ganz und gar nicht. Zudem
hatte sie keine Lust auf ein Verhör in Sachen Eva. Andererseits war sie auch neugierig und vielleicht würde Sommerkorn ihr
ein wenig mehr erzählen, wenn Barbara nicht dabei war.
»Heute Abend hab ich schon was vor«, log sie. Sollte Sommerkorn sich ruhig fragen, was und mit wem. »Aber morgen Abend geht’s.«
»Gut. Passt es dir zwischen sechs und sieben?«
»Denke schon.«
Fünf Minuten nachdem die beiden wieder in ihren Wagen gestiegen und mit einem knappen Winken davongefahren waren, stand Marie
immer noch vor Evas und Stellas Haus und dachte nach. Was hatte das alles zu bedeuten? Gab es etwa einen Zusammenhang zwischen
dem Mordopfer vom Friedhof und Evas totem Sohn? Marie kramte in ihrem Rucksack, zog den Schlüssel heraus und ging auf den
Wagen zu, den sie heute Morgen von der Carsharing-Agentur gemietet hatte. Ich brauche dringend ein eigenes Auto, dachte sie.
Dann fiel ihr das undichte Dach ein und der Batzen Geld, den sie für den Fallschirmspringerkurs ausgegeben hatte. Sie stieg
ein, legte den ersten Gang ein und fuhr davon.
Im ersten Moment nahm sie die Frau auf dem Fahrrad gar nicht bewusst wahr. Mit der schwarzen Wollmützeund dem dicken grauen Schal, der fast bis zur Nasenspitze reichte. Nur das Fahrrad mit den rosa Blümchen ließ sie aufmerken.
Und erst auf den zweiten Blick erkannte sie Eva, die mit starrem Blick in die Pedale trat. Marie erschrak: Eva sah aus, als
sei ihr ein Gespenst begegnet, völlig blass und – ja – angsterfüllt. Was sollte sie tun, Eva nachfahren? Sie zum Anhalten
bewegen, mit ihr reden? Sie trösten? Marie fühlte sich unendlich hilflos. Wie bei Paula, dachte sie. Dasselbe Gefühl der Ohnmacht.
Aber durfte sie sich überhaupt einmischen? Sie kannte Eva doch nicht sonderlich gut. Egal, dachte Marie und gab Gas.
☺
Ihre Fragen werden immer penetranter. Ich antworte ausweichend oder gar nicht, aber ich glaube, sie ahnt, dass es etwas ist,
das mit der Schule zu tun hat.
*
»Martin, du nimmst dir die Akte Tommy Kreutzberg vor. Schau sie dir ganz genau an, sprich nochmal mit der Mutter, vielleicht
ist da noch was, ein PC, Bücher, CDs, irgendwas … Ein paar Beamte sollen die ehemaligen Mitschüler, die Lehrer, einfach alle befragen, die Tommy kannten. Vielleicht stoßen
wir auf etwas, das wir bisher übersehen haben. Und ihr«, Sommerkorn wandte sich an Barbara und Möller, »weitet die Suche nach
dem Toyota auf das Umfeld von Tommy Kreutzberg aus. Kontrolliert die Autos aller Personen, mit denen Tommy in den Monaten
vor seinem Tod Kontakt hatte. Was für einen Wagen fährt übrigens Tommys Mutter?«
»Auf die Mutter ist kein Wagen zugelassen. Wir habenaber rausgekriegt, dass sie sich ein Auto mit einer Frau teilt, die im selben Haus lebt wie sie, einer gewissen Stella Siebert«,
antwortete Martin Inkat.
»Ach.« Damit hatte Sommerkorn nicht gerechnet.
»Kennst du die?«
»Kennen ist zu viel gesagt.«
»Jedenfalls fahren die beiden einen Polo«, fuhr Inkat fort.
»Wär ja auch zu schön gewesen.« Barbara seufzte.
»Dann nehmt euch noch die
Weitere Kostenlose Bücher