Novembermond
und seine Patienten liebten ihn abgöttisch.
„Dann machen wir eine Art Team-Ausflug. Das wird bestimmt lustig.“
Thomas war immer gern mit seinen Kollegen und noch lieber mit den jüngeren Assistenzärzten ausgegangen. Sie liebten ihn wegen seiner kumpelhaften Art. Solche Verquickungen mochte ich nicht. Andererseits … Ich dachte an meine guten Vorsätze. „Wohin wollt ihr denn gehen?“, fragte ich unschlüssig.
„Ins Wilhelmina“, sagte Heidi. „Einen Club“, fügte sie für Unwissende wie mich hinzu.
„Oh.“ Ich dachte sofort an Christian Hartmann. „Dann geht es wohl nicht. Ich habe einen Patienten, der sehr oft dorthin geht.“
„Na und?“ Peter lachte.
„Die Möglichkeit, einen Patienten irgendwo in Berlin zu treffen, ist zwar groß, aber sie sollte kein Grund sein, um zu Hause zu bleiben.“
Allgemeines Nicken und Kopfschütteln.
Wir trafen uns um 22.00 Uhr in der Victoria-Bar. Oh Mann. Wie lange es her war, dass ich um diese Zeit ausging. Franziska wäre sicher stolz auf mich.
Es dauerte, bis alle eintrafen. Nach einem Sex on the Beach fühlte ich mich locker genug, um dem Abend entspannt ins Auge zu sehen. Von der Bar aus zogen wir gemeinsam weiter in den Club. Ins Wilhelmina. Obwohl Nicole die frühe Uhrzeit reklamierte, stand bereits eine lange Schlange vor der schweren Eingangstür aus Eisen.
Ich stellte mich mit den anderen an. Während der ganzen Woche fühlte ich mich von Patienten und Vorgesetzten beobachtet und bewertet, und eigentlich hatte ich keine Lust, mich an einem Samstagabend noch freiwillig von einem Türsteher anstarren zu lassen, der darüber befand, ob ich würdig war, mein Geld in einem Club auszugeben. Vielleicht besaß ich auch nur zu wenig weibliches Selbstbewusstsein.
Es dauerte nicht lange, und wir waren drin.
Ich bestaunte die unterkühlte und futuristische Einrichtung, und hatte den Eindruck, dass ich die Einzige aus unserer Gruppe war, die noch nie hier war.
Das Publikum stellte sich als überraschend gemischt heraus. Ich sah Frauen mit knallengen Miniröcken und hochhackigen Pumps, Männer mit Muscle-Shirts, Anzug oder Krawatte. Und es gab Frauen und Männer in auffälliger oder gediegener Designerkleidung ebenso wie – nun, Touristen, die das Club-Leben in Berlin bestaunten und ganz offensichtlich nicht aus einer Großstadt stammten.
Der Türsteher schien heute gnädig zu sein.
Oder der Club hatte ein sehr offenes Konzept.
„Oh Gott. Schau dir den mal an!“
Heidi zeigte mit schamlos ausgestrecktem Zeigefinger auf die Balustrade.
Dort oben stand ein großer, breitschultriger Mann mit langen blonden Haaren, die ihm offen über die Schultern hingen. Er sprach in sein Handy, während sein Blick gleichgültig über die Menschenmenge unter ihm glitt.
Jetzt gafften wir alle.
„Das ist so richtig was fürs Auge“, kommentierte Nicole.
„Und da heißt es immer, Männer sind oberflächlich und sexistisch“, meinte Peter, der neben mir saß.
„Das ist doch mal ein echter Kerl. Sieht er nicht unglaublich romantisch aus?“, fragte Heidi versonnen.
„Vielleicht, wenn man Wrestling romantisch findet“, bemerkte ich, und Peter lachte. Seine Anerkennung wärmte mich, und nicht zum ersten Mal bedauerte ich, nur Freundschaft für ihn empfinden zu können.
Neben dem Blonden tauchte ein weiterer Mann auf, und Heidi griff sich an den Hals und schnappte demonstrativ nach Luft. Dieser war ebenfalls groß, wenn auch längst nicht so muskulös. Er hatte langes, schwarzes Haar, das ihm in üppigen Wellen bis zu den Hüften reichte.
So etwas hatte ich noch nie gesehen. Was war da oben eigentlich los? Hatte der Club ein paar Models gemietet, um die weiblichen Gäste in Stimmung zu bringen? Die beiden unterhielten sich und traten zurück aus unserem Gesichtsfeld, was ein schmachtendes Stöhnen von Heidi und Nicole zur Folge hatte.
Wir bestellten unsere Getränke, die Bedienung war freundlich und schnell, wir hatten gute Laune und unser Gespräch wanderte zur Klinik – und natürlich zu Benno.
Tratsch und Klatsch verbindet doch immer ungemein.
Ich genoss es, mit den anderen zusammen zu sein, und entdeckte meine Freude am Tanzen wieder, auch wenn ich keinen der Techno-Songs kannte. Der brachiale Bass wummerte durch mich hindurch, die Tanzfläche leuchtete rot und Laserstrahlen zuckten über uns hinweg. Die Magie der intensiven Rhythmen nahm mich gefangen, und wir tanzten lange und ausgelassen. Als wir uns wieder in unsere Sessel fallen ließen, waren wir
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