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Novembermond

Novembermond

Titel: Novembermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Heyden
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Soldaten, kam aber zu spät, um ihn zu retten. Also tötete er die Soldaten, und nur noch er und seine Schwester blieben zurück.
    Die Mittagssonne stand am Himmel, als sie vergewaltigt wurde. Julian tötete auch diesen Mann, und als seine Schwester im Kindbett starb, wachte er neben ihr. In der Nacht, als Besucher der Gemeinschaft kamen, war er dabei, sie und das Kind neben den anderen zu begraben.
    Diesmal ritt er mit ihnen.
    Er drehte sich nicht um.
    Innerhalb von drei Jahren hatte er seine Familie verloren.
    Der Krieg sollte dreißig Jahre dauern.
    Seitdem war die Gemeinschaft seine Familie, und mehr als das.
     
    „Julian? Ich sollte dich benachrichtigen, wenn für Anfang März eine Reservierung aus Frankreich eingeht“, sagte Achims ruhige Stimme ins Telefon. „Heute via E-Mail: Frederic, Louis, Claire und Josephine. Sind das die Leute, die du erwartest?“
    „Ja. Wie lautet die Reservierung?“
    „Vier Suiten vom zweiten bis zum vierten März. Willst du irgendeine Sonderbehandlung? VIP-Status?“
    „Nein.“ Er überlegte kurz. „Allerdings halte ich Vorkasse für sinnvoll.“
    Julian tippte Pierres Nummer ein. Pierre war zu Hause und nahm die Nachricht kommentarlos entgegen.
    „Sind dir diese Namen bekannt?“, fragte Julian gegen das Schweigen am anderen Ende der Leitung an.
    Pierre seufzte. „Frederic hat immer schon zu Jeannes Schlächtern gehört. Und Claire … war damals in die Pläne für den Aufstand mit einbezogen. Wenn sie jetzt für Jeanne unterwegs ist, hat sie zu den Verrätern gehört. Die beiden anderen kenne ich nicht.“
    „Jeanne muss sich sehr sicher fühlen, wenn sie nur vier ihrer Leute nach Berlin schickt, um dich mitzunehmen.“
    „Ja, das tut sie wohl.“
    „Mach dir keine Sorgen. Sie wird ihre Meinung noch ändern.“
    „Danke, Julian.“
     
    *
     
    Pierre legte den Hörer auf und lehnte sich zurück. Seine Gedanken drehten sich um Zorn und Rache, aber auch um Dankbarkeit und Schuld.
    Seit das Aeternitas existierte, hatte er die Reservierungsliste für Anfang März immer selbst überprüft. Dann, im letzten Jahr, hatte er erstmals eine Reservierung aus Paris entdeckt. Daraufhin hatte er von Ende Januar bis Mitte März einen Auftrag in Hamburg wahrgenommen. Die Gäste aus Paris hatten auf den Versuch verzichtet, ihn dort aufzuspüren, aber ihre Fragen hatten innerhalb der Gemeinschaft Neugier und Erstaunen ausgelöst.
    Es war immer der dritte März gewesen, an dem Pierre angegriffen wurde. Der Tag des gescheiterten Widerstands. Und Ceciles Todestag. Jeanne bewies eine erstaunliche Vorliebe für Symbolik.
    Einerseits war er froh, sich Julian offenbart zu haben, aber es blieben Unschlüssigkeit und Schuld. Denn er fragte sich, ob es richtig war, ihn und die Gemeinschaft in seine persönlichen Schwierigkeiten hineinzuziehen. Wenn sie sich dem Kampf stellten und versagten, wäre er für den Tod guter Männer und Frauen verantwortlich. Wenn nicht, für eine Fehde, deren Folgen niemand absehen konnte.
    Vielleicht sollte er nochmals mit Julian reden. Und Berlin rechtzeitig verlassen. Das wäre womöglich die klügere Entscheidung.
     
    *
    Wir saßen um den wackligen Tisch des kleinen Besprechungszimmers, auf dem die verschiedensten Kaffeebecher standen. Die mit den Vornamen von Kollegen, die längst nicht mehr hier arbeiteten, und Urlaubsorten, die jeder kannte. Ich griff nach Kreta. Der Becher war blau und weiß gestreift und die riesige gelbe Sonne strahlte bis zum Henkel.
    Unsere Teamsitzung hätte eigentlich schon vor zehn Minuten beginnen sollen, aber wir warteten auf Benno, was den Assistenzärzten und Praktikanten die Gelegenheit gab, ihr lebhaftes Gespräch über die Bar- und Club-Szene in Berlin fortzusetzen.
    „Willst du am Freitag nicht mitkommen?“
    In dem allgemeinen Schweigen blickte ich von meinen Unterlagen auf und kapierte endlich, dass mich alle erwartungsvoll ansahen.
    „Ellen?“
    „Ich?“, fragte ich verdutzt. „Nun …“ So schnell fiel mir einfach keine triftige Ausrede ein.
    „Komm doch mit, Ellen. Harald, Nicole und Heidi haben auch schon zugesagt. Und ich.“ Peter grinste mich an. Ich grinste zurück. Bei Peter konnte ich einfach nicht anders. Er war so alt wie ich, hatte ein sympathisches Gesicht und seine hellen Haare zu einer Frisur gegelt, die bei einem erwachsenen Mann einfach albern aussieht, wenn er kein Fußballspieler oder Schauspieler ist. Aber zu Peter passte sie irgendwie. Er war ein unglaublich guter und einfühlsamer Therapeut,

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