Novembermond
verstehen, welche Macht er b e saß , a uch über mich. Wie sehr ich ihm ausgeliefert wäre .
„Du wolltest mein Vertrauen“, sagte ich leise. „Erinnerst du dich? Ich habe es dir g e geben.“
Julians Augen veränderten sich. Er sah meine Zweifel, meine unausgesprochene Anklage, meine Empörung und nickte.
„Jetzt hast du endlich verstanden.“ Da war kein Ärger in seinem Gesicht, nur Ruhe. „Behalte deine Zweifel, Ellen. Sie werden dich schützen.“
Ich wollte ihm widersprechen, weiter um ihn kämpfen und tat es nicht. Ich sa g te nichts.
„Ich bringe dich jetzt nach Hause“, meinte Julian und stand auf.
Wir schwiegen, bis wir im Auto saßen, und auch die Fahrt nach Friedenau ve r lief ohne ein Wort.
Julian parkte in zweiter Reihe vor meinem Haus und ließ den Motor laufen.
„Ellen, wenn du mich irgendwann brauchst …“
„Das kann ich mir nicht vorstellen.“
„Du kannst mich jederzeit anrufen. Gib mir dein Handy.“
Ich sah die Bitte in seinem Blick und gab es heraus. Er betrachtete es, speiche r te eine Nummer und reichte es zurück.
Ich kontrollierte die Eingabe. J. Wie originell.
Dann öffnete ich die Autotür.
„Ellen?“ Seine Stimme hielt mich zurück. „Ich wünsche dir ein gutes L e ben.“
„Ich dir auch.“ Ich stieg aus.
Keine Fanfarenstöße. Kein Chor weinte. Julian rannte nicht hinter mir her , und ich drehte mich nicht um .
Aber die Welt würde sich weiterdrehen. Das tat sie immer.
Während ich die Treppenstufen nach oben ging, war mir kalt . A us dem Woh n zimmerfenster schaute ich nach u n ten. Der BMW war fort.
Kapitel 20
D
aniel hatte frei. Er saß allein an einem Tisch, vor sich ein Glas Weizenbier, und beobachtete die anderen Gäste. Hier, in Clä r chens Ballhaus , einem Tanzlokal in der Auguststraße, würde er bestimmt keinem anderen Mitglied der Gemeinschaft begegnen, was durchaus seiner A b sicht entsprach . Es gab vermutlich keinen uncooleren Ort als diesen in Berlin, denn die Gäste hier gehörten weder einer be stimmten Szene noch Alter s gruppe an. Daniel mochte es, mit den anderen jungen Vampiren um die Häuser zu zi e hen. Aber er liebte es auch , allein unterwegs zu sein , denn er fand es immer wi e der faszi nierend, sich nur unter Menschen aufzuhalten .
So wie heute.
Die hübsche Katrin, die er gestern kennengelernt hatte , war auch wieder da. Sie saß am anderen Ende des Saals und unterhielt sich mit ihren Freu n dinnen. Katrin trug ein langärmliges, weißes Shirt, weiße Leggins, und trotz der kühlen Jahreszeit nur ein dünnes K leid darüber, das ihre spor t liche Figur gut zur Geltung brachte. Ihre Füße steckten in weißen Turnschuhen. Mit einer lässigen Bewegung war f sie ihr langes, braunes Haar nach vorn . Durch diesen dichten Vorhang hindurch be o bach tete sie ihn.
Daniel grinste.
Nicht so heimlich, wie sie glaubte.
Daniel lehnte sich entspannt zurück, er wusste, dass er der Wirkung seines Au s sehens ve r trauen konnte . Dann dehnte er seine Schultern und stand langsam auf.
Katrins Blick wurde nervös, und Daniel fragte sich, wie sie wohl reagieren wü r de, wenn er einfach zu ihr ginge. Als er dicht an ihrem Tisch vorbei in Ric h tung Ausgang schlenderte, sah er ihren enttäuschten Blick. Unterwegs strich sich D a niel sein langes Haar zurück. Mit seiner Matte konnte er bei den Mädels pun k ten, das wusste er.
S ein Plan funktioniert e .
Morgen, Katrin, dachte er. Morgen bist du so weit.
Ihr habt die Uhr, wir haben die Zeit.
Er hatte viel gelernt. Und eines inzwischen herausgefunden: Er mochte Frauen, ganz ei n deutig. Daniel verließ das Ballhaus und zog weiter. Es war bereits nach Mitternacht, aber die Oranienburger Straße noch immer voller Menschen, daru n ter viele unte r nehmungslustige Tou risten . Auch die Cafés und Restaurants in den Hackeschen Höfen waren gut besucht. Daniel durchque r te die verschiedenen Höfe, bestaunte die kunstvollen Fassaden und fragte sich, ob er sich je an ihnen übe r drüssig sehen würde.
Inmitten der Menschen fühlte er plötzlich einen kühlen Strom, die Energie von Vampiren, die ihm entgegenstrich und begann, ihn sacht zu umfließen. Daniel hob den Kopf und spürte genauer hin.
Er drehte sich um und rannte.
Daniel verließ die Höfe, bog in die Sophie-Scholl-Straße, sah sich kurz um, öf f nete mit einem gezielten Händedruck die Haustür eines frisch renovierten Vo r derhauses u nd schlüpfte hin durch. Er durchquerte lau t los den Flur und rannte die Treppe
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