Novembermond
Richard mit einem Ruck in sein Innerstes zurück. Panisches Entsetzen überwältigte ihn, trieb ihn dazu, sich mit aller Heftigkeit zu wehren, wobei er gleichzeitig spürte, wie seine Kraft ihn verließ und er immer schwächer wurde.
Jetzt erinnerte er sich.
Worauf hatte er sich bloß eingelassen? Wofür seine Zustimmung gegeben? Dieser Typ war durchgeknallt. Verrückt.
Dies alles war völlig verrückt.
Der andere hob sein Gesicht und sah ihn an. „Du musst dich dem Tod unterwerfen.“
Dem Tod unterwerfen? Wie bescheuert war das?
Das musste er gewiss nicht.
„Dein erstes Leben ist verloren. Ich werde es dir nehmen, ich habe keine andere Wahl.“
Richard starrte in das Gesicht über ihm, in dem silberfarbene Augen nicht auf Gnade hoffen ließen. Kalte Finger strichen langsam über seine Brust und über seinen Hals. „Und dann werde ich dir ein zweites schenken.“
Das hatte er doch schon einmal gehört.
„Hab keine Angst.“
Richard lag starr, unfähig, zu sprechen oder sich zu bewegen. Konnte es tatsächlich wahr sein? Nein, völlig unmöglich. Doch er hatte das Gefühl, von diesen silberglänzenden Augen angezogen zu werden, sie unbedingt genauer betrachten zu müssen, immer tiefer in ihnen zu versinken.
Das Atmen fiel ihm wieder leichter.
Der Mann beugte sich tiefer, Richard spürte halb lange Haare an seinem Gesicht, als der Mund an seinem Hals entlangfuhr, dort blieb, dann einen kurzen Schmerz. Dabei ein unerwartetes Gefühl von Beruhigung. Die Angst verging, und auch die Kälte ließ endlich nach.
Während der andere damit fortfuhr, sein Blut zu nehmen, fühlte er sich matt und schläfrig.
Eigentlich war das Gefühl sogar angenehm.
Ich brauche deine Zustimmung, hörte er die Stimme nur in seinem Kopf.
Richard fühlte sich jetzt ruhig. Er schloss die Augen und nickte.
Es wird nicht mehr lange dauern.
Richard riss die Augen auf. Diese Worte lösten erneut Panik in ihm aus. Sein Überlebenstrieb zwang ihn, seine schwachen Kräfte zu bündeln und ein letztes Mal um sein Leben zu kämpfen. Aber er konnte dem anderen nichts mehr entgegensetzen.
Da überkam ihn Verzweiflung.
Verzeih mir. Die fremden Augen zeigten Mitgefühl. Für ihn.
Und er fühlte sich in seiner Qual und seiner Einsamkeit verstanden, wie er es noch nie zuvor erlebt hatte.
Ausgerechnet jetzt.
D u musst sterben, um leben zu können.
Trotzdem klammerte sich Richard an das letzte Bruchstück seines Lebens und weigerte sich, loszulassen.
Lass ab.
Richard öffnete das letzte Mal als Mensch die Augen.
Er sah das Gesicht des anderen über ihm, an seinen Mundwinkeln frisches Blut.
Und gehorchte.
Der Schmerz tobte so grausam, dass Richard mit einem Ruck zu sich kam. Sein Körper verkrampfte sich und zuckte. Er wollte sein Entsetzen hinausschreien, konnte es aber nicht, war atemlos und wie gelähmt. Er sah schon wieder dieses Gesicht über sich, diese Augen, fühlte erst Erleichterung, dann Entsetzen, spürte eine Hand auf seiner Brust, als ob sie sein Herz umklammerte und zusammenpresste. Richard schaffte es endlich, den Mund zu öffnen, wollte beides, atmen und schreien. Gleichzeitig.
Es hat be gonnen. Du musst jetzt trinken.
Richard spürte die Flüssigkeit, die ihm vom Handgelenk des Mannes in den Mund auf seine Zunge tropfte. Er schluckte, hustete, spuckte aus und keuchte. Richard hatte flüssiges Feuer im Mund und seine Zunge brannte, aber im gleichen Moment glaubte er, erfrieren zu müssen.
Plötzlich wusste er in völliger Klarheit, was da in seinen Mund hineingelangte. Er versuchte entsetzt, den Kopf wegzudrehen und wehrte sich, aber sofort drückte der Arm mit der offenen Wunde auf seinen Mund. Die silbernen Augen kamen augenblicklich näher und hielten seinen Blick fest.
Du musst trinken. Ich kann dich nicht länger halten.
Es war nicht so, dass sich Richard bewusst für sein zweites Leben entschied. Der Druck auf seine Brust verstärkte sich so, dass er laut aufstöhnte, und verschwand dann jäh. Richard sog keuchend den Atem ein und schluckte einen frischen Schwall Blut, schluckte, hustete, spuckte und schluckte, wieder und wieder. Das Gefühl von Ekel verschwand bei jeder erbarmungslosen Wiederholung, und plötzlich glaubte er, dass dies das absolut Köstlichste war, was er je getrunken hatte. Er begann, an dem Handgelenk, das ihm angeboten wurde, zu saugen, wollte immer mehr und fand keine Zeit, sich darüber zu wundern.
„Ich möchte mehr.“
Richards Atem ging schnell und stoßweise. Er konnte gar nicht
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