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Novembermond

Novembermond

Titel: Novembermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Heyden
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von zerbröckelnden oder verfallenen Industrieanlagen und Lagerhallen, die vor allem die Erwartungen von Touristen an das raue Berlin-Image erfüllten. Dabei bot dieser Standort durchaus pragmatische Vorzüge. Hier gab es keinen Ärger mit Anwohnern wegen Lärmbelästigung und eine ausreichende Menge an Parkplätzen. Nicht zuletzt gehörte das Grundstück der Gemeinschaft.
    Das Gelände hatte mehr als fünfzig Jahre brachgelegen, bis die Gemeinschaft es kaufte, das Gebäude umbauen ließ und über dem Club Büros und Lofts unterbrachte. Die Büroräume, die die Gemeinschaft nicht selbst benötigte, wurden an eine Marketing-Agentur und kleinere Computerfirmen vermietet. Die privaten Mieter der Lofts gehörten ohnehin zu denen, die jede Wirtschaftskrise unbeschadet überstanden.
    Der Club war absolut angesagt. Entlang der mit Graffiti besprühten Backsteinmauern standen die Autos dicht gedrängt. Auch alle Parkplätze auf dem Gelände waren besetzt, bis auf die wenigen für die Angestellten des Clubs. Dort parkte Richard den BMW. Vor dem Eingang stand bereits eine lange Schlange. Wartende, die geduldig auf Einlass hofften, miteinander redeten und lachten – oder sich beharrlich ignorierten. Schlangestehen entwickelt immer eine eigene Dynamik.
    Christian hätte es vorgezogen, an ihnen allen vorbei durch den Haupteingang zu gehen, aber Richard schüttelte trotz ihrer Verspätung den Kopf. Sie gingen um den Backsteinbau herum, blieben vor der unauffälligen Metalltür eines Seiteneingangs stehen und klopften.
    Richard grüßte den dunkelhaarigen und blassen Mann, der die Tür geöffnet hatte. Ein rotes Band im Piratenstil hielt das dunkle Haar zurück, und seine Augen waren großzügig mit Kajalstift umrandet.
    Johnny Depp sah besser aus.
    „Ihr seid spät dran“, sagte der Pirat. „Andrej ist schon eine Weile drin und hat eben nach dir gefragt. Und der Typ, mit dem ihr verabredet seid, ist auch schon da. An eurer Stelle würde ich mich verdammt beeilen.“
    Richard nickte. Sie gingen eilig durch einen schmalen Gang und landeten im Gedränge der Neugierigen, die den Rand der Tanzfläche im Erdgeschoss besetzt hielten. Es lief Techno, und die Lautsprecher pumpten unentwegt dröhnenden Bass in die Menge.
    Christian folgte Richard, der sich seinen Weg zwischen den schwitzenden Leibern hindurch bahnte. Für die hektisch wechselnden Lichtspiele an den Wänden hatte er ohnehin keinen Blick. Stattdessen betrachtete er die Woge der sich hin und her wiegenden Tänzer. Die Gesichter waren stumpf oder euphorisch verzerrt, aber sie bewegten ihre Körper wie ein einziger und gingen völlig im Rhythmus auf. Sie steckten in teurer Designerkleidung oder in der von Billig-Discountern. Im Hier und Jetzt spielte das keine Rolle. Egal, in welchem Bett sie morgen aufwachten oder was sie im Alltag erwartete, so lange, wie sie sich die blutrot glänzende Tanzfläche teilten, fühlten sie sich einander ebenbürtig. Und unverwundbar.
    Christian wandte den Blick gelangweilt ab. Zwar hatte er Richard auch in einem Club kennengelernt, aber das war drei Jahren her, und inzwischen verachtete er die vielen menschlichen Besucher. Von Richard wusste er, dass er in der ersten Zeit nach seiner Wandlung kaum dazu in der Lage war, Menschenansammlungen, und insbesondere den schweren Geruchs cocktail von Schweiß, Parfüm, Deo und Blut zu ertragen. Gott sei Dank war das längst vorbei.
    Er folgte Richard über die Marmortreppe mit dem Geländer aus Stahl auf die übernächste und wesentlich ruhigere Ebene, wo sich hinter den Sitzgruppen ein abgetrennter Bereich mit strenger Einlasskontrolle befand.
    *
     
    Andrej saß in einem viel zu weichen Clubsessel. Der Kunde, der ihm gegenübersaß, war etwa Mitte dreißig. Er trug einen zerknitterten, dunkelblauen Seidenanzug und wippte nervös mit seinem rechten Fuß, der in handgenähten Lederschuhen steckte.
    Andrej gab Richard und Christian mit einer kurzen Bewegung seiner Augen die Anweisung, sich zu setzen. Dabei blieb sein Blick an Christian hängen. Andrej spürte Christians deutlichen Ärger. Sicher hatte ihm Richard von seinem Vorschlag erzählt, die Wartezeit für seine Wandlung zu verlängern. Christian wagte es allerdings nicht, diesen Ärger zum Ausdruck zu bringen oder ihm auch nur in die Augen zu sehen. Gleichzeitig fühlte er Christians brennende Bewunderung, seine sexuelle Begierde und zweifelnde Neugier, was seine sexuelle Ausrichtung betraf.
    Sollte er ruhig zweifeln. Andrej mochte ihn nicht.
    Er

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