Novembermond
unmittelbaren, aber ahnungslosen Umfeld auswählte. Das hatte Gregor zusätzlich in die Hände gespielt.
Beide Frauen waren für Gregor nur Mittel zum Zweck gewesen, was genau genommen noch viel schlimmer war. Es würde immer wieder Vampire und Menschen geben, die für die Gemeinschaft sterben mussten. Das zu ertragen, würde nie leichter werden. Aber Magda und Jenny waren für ihn gestorben, nur für ihn. Er hatte Magda wirklich gemocht. Und Gregor hatte sie einen schlimmen Tod sterben lassen, genau wie die junge, lebenshungrige Jenny. Diese Morde hinterließen einen deutlichen Hinweis – auf ihn. Vermutlich hatte Gregor ihn beobachten lassen und er es in seinem Zustand nicht bemerkt.
Seit vielen Jahren ging Julian dem Kontakt zu Behörden erfolgreich aus dem Weg. Aber morgen würde er sich nicht vermeiden lassen. Wenn er sich jetzt wegen seines Arkanums acht bis zehn Wochen zurückzog und für die Polizei der Menschen nicht zur Verfügung stand, würde er die Anschuldigungen nicht entkräften können. Sein Verschwinden würde viel Staub aufwirbeln, mehr, als für die Diskretion seiner Existenz gut war – insbesondere jetzt, da er verdächtigt wurde. Die Morde mussten vor seinem Arkanum aufgeklärt werden, aber wie lange würde er noch durchhalten können? Und wie lange würde es dauern, zu beweisen, dass er nicht der Mörder der Alexanderplatz-Opfern war? Tage? Oder Wochen? Aber hatte er überhaupt eine Wahl?
„Was ist los?“, fragte Andrej misstrauisch.
Julian blickte auf. „Ich weiß es noch nicht.“ Er griff nach dem Telefon und rief Achim an. „An der Garderobe des Aeternitas arbeitet eine junge Frau. Jenny. Kennst du sie?“
„Ja“, sagte Achim verblüfft. „Eine Aushilfe. Unzuverlässig. Sie ist gestern nicht zum Dienst gekommen. Für morgen steht sie wieder auf dem Dienstplan. Falls sie kommt, werde ich sie entlassen müssen.“
„Das brauchst du nicht“, sagte Julian müde. „Sie ist tot.“
„Wer ist tot? Verdammt, Julian, was ist los?“, fragte Andrej verblüfft.
Julian erzählte es ihnen. Und was er hinsichtlich Gregors Absichten vermutete.
Alle blickten ihn an, niemand widersprach.
Julian schloss die Augen. Er musste Gregor töten, sonst würde es nie ein Ende nehmen. Kurz spürte er, wie unversöhnlicher Hass durch sein Blut stürmte, der ihn nach kurzem Toben noch erschöpfter zurückließ. Sich dem hinzugeben, wäre nicht nur sinnlos, sondern auch gefährlich. Es gab nicht nur die Gemeinschaft, sondern auch Menschen, die er schützen musste. Mit wem war er in letzter Zeit zusammen gewesen? Ellen. Und Ines. Waren sie ebenfalls in Gefahr? Magda und Jenny … Wenn Gregor nur die Parkplätze des Aeternitas hatte beobachten lassen, besaß er keine Hinweise auf Ellen und Ines. Aber er musste sichergehen.
Julian sah Andrej an. „Es gibt da etwas, das du für mich tun kannst.“
„Und?“, fragte Andrej nicht gerade freundlich.
„Diese Psychologin der Eichenpark-Klinik. Und eine … Frau, die ich ab und an aufsuche. Finde bitte heraus, ob sie in Ordnung sind. Gleich. Und es wäre mir bedeutend wohler, wenn sie für eine Weile beobachtet würden.“
„Gut.“ Andrej nickte gnädig. Diese Aufgabe sah er als würdig an. Sie bedeutete, Julian endlich helfen zu können. Nachdem Julian ihn mit den Adressen und notwendigen Einzelheiten versorgt hatte, stand er auf und ging hinaus, um Anordnungen zu geben. Als er zurückkam, wirkte er besänftigt.
„Die Leichen der beiden Frauen werden sicher obduziert. Ich könnte herausfinden, wo genau, in welcher pathologischen Abteilung“, schlug Sam vor. „Es wäre sicher sinnvoll, einen Blick auf sie zu werfen.“
„Kannst du das bis morgen herausfinden?“
„Davon gehe ich aus.“
„Danke.“ Julian nickte. „Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass mir niemand das Gespräch mit der Polizei abnehmen kann“, stellte er fest. „Danach werde ich mir die Leichen ansehen.“ Er zögerte. Üblicherweise erledigte er seine Angelegenheiten allein, aber er sah die geballte Besorgnis, die ihm gegenübersaß, wusste, was von ihm erwartet wurde und ergab sich in sein Schicksal.
„Möchte jemand mitkommen?“
Andrej, Sam und Armando meldeten sich sofort.
„Schön“, meinte Julian fügsam, aber sein Lächeln sagte etwas anderes. Immerhin zeigte Armando endlich wieder Interesse an den Realitäten des Lebens.
„Und Sam? Magda hatte einen Sohn. Ich möchte wissen, wie es mit ihm weitergeht. Ob er Verwandte hat. Und die Stiftung soll
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