Novembermond
einspringen.“
Julian studierte die rotbraune Tischplatte. Dann zog er seine Hände vorsichtig vom Tisch. Niemand sollte sehen, dass sie zitterten.
„Wenn wir keinen weiteren Tagespunkt haben, machen wir jetzt Schluss“, sagte er sachlich.
„Da ist noch ein Punkt, Julian“, widersprach Pierre. „Wie soll es mit dir weitergehen, wenn du das Arkanum weiter aufschieben musst? Du hast dich kaum noch im Griff. Du musst trinken, und nicht zu wenig. Jetzt, unbedingt. Und jeden nächsten Tag. Wie und wann sollte der Kreis gemeinsam klären. Zu deinem Schutz.“
Doch nicht so glimpflich, wie er glaubte. In Julian stieg Zorn auf, ohne dass er es verhindern konnte. Pierre versuchte, ihm Vorschriften zu machen. Er warf ihm einen Blick zu, der ungefiltert loderte.
„Julian? Julian!“ Er hörte Andrejs Ermahnung und spürte, wie Sam vorsichtig seinen Arm ergriff.
Julian senkte den Blick und nickte zögernd. Er fragte sich, wie viele dieser Entladungen er noch würde ertragen und abwenden können, bis er jemandem an die Kehle ging. Oder endgültig zusammenklappte.
Pierre lächelte matt. „Danke, dass du mich gerade nicht zu Asche verbrannt hast. Die höllischen Kopfschmerzen kann ich ertragen.“
Julians Miene blieb ausdruckslos. Er machte einen Fehler nach dem anderen. Jetzt hatte er Pierre Schmerzen zugefügt. Aber er verzichtete auf eine Entschuldigung.
„Deine Reaktion hat bewiesen, dass du dich nicht angemessen um deine Versorgung kümmern kannst“, stellte Pierre schonungslos klar. „Du bist viel zu unbeherrscht. Dabei musst du dich auf Kontakte mit Menschen einstellen, und du brauchst regelmäßig Blut. Menschliches. Und das Unsrige. Es ist noch völlig unklar, wann du dein Arkanum antreten kannst. Was willst du bis dahin tun? Jede Nacht allein draußen auf Jagd gehen, so wie bisher? In deinem Zustand? Dann wirst du tatsächlich jemanden töten.“
Julians mühsam beherrschte Ruhe entglitt ihm erneut. Die veränderte Energie war im ganzen Raum zu spüren, das entsetzte Schweigen mit den Händen greifbar. Andrej und Sam senkten ergeben den Blick, sie saßen reglos, bestürzt. Eva begann zu zittern, Armando fasste ermutigend nach ihrer Hand. Oliver schien mit sich selbst zu kämpfen.
„Ich habe nie …“
Pierre hielt stand, den Kopf erhoben, auch wenn er diesmal Julians direktem Blick auswich. „Das glaubt niemand“, sagte er beschwichtigend. „Sag einfach, was du brauchst. Du weißt, dass du die freie Auswahl hast, unter uns und den Vertrauten. Wenn du zur Blutspende rufst, werden alle Schlange stehen. Übrigens möchte ich gern den Anfang machen und mich für heute selbst empfehlen.“
„So. Würdest du?“
Alle warteten auf Julians Reaktion. Er versuchte vergeblich, sich von seinem Zorn zu lösen. Es fehlte nur noch, dass sie ihm beruhigend die Hand tätschelten. Als wäre er ein verdammter Pflegefall.
Pierre senkte ergeben den Blick. „Bitte“, meinte er behutsam. „Du hast mich damals gerettet und nie eine Gegenleistung gefordert. Nun weise mich nicht zurück.“
Julian spürte, wie sein Zorn verschwand. Pierre tat nichts, um ihn herauszufordern. Im Gegenteil. Sein Angebot erstaunte ihn. Und wiederum nicht. Jedenfalls sprach einiges dafür, es anzunehmen, auch wenn er eigentlich nicht mehr damit gerechnet hatte, dass es mit Pierre jemals zu einem Austausch von Blut kommen würde.
„Gut, Pierre … danke. Und Andrej, du wirst dich gleich Armando zur Verfügung stellen.“ Julian ignorierte ihren erstaunten Blick. „Das ist ein Befehl. Wenn auch der letzte, den ich in nächster Zeit geben werde. Pierre hat recht. So kann ich nicht weitermachen. Also, was schlagt ihr vor?“
Langsam wunderte er sich über sich selbst.
„Pierre, ich sollte dich warnen …“
„Ich habe davon gehört. Setz dich hin.“
„Aber …“
„Ich weiß es. Und ich werde nicht nachgeben“, meinte Pierre. „Also überlege dir, ob du jetzt in der Verfassung für einen Machtkampf bist.“ Er lächelte ernst. „Wenn du mit meinem Kopf unter dem Arm hinausgehst, wirst du eine verdammt gute Ausrede brauchen.“
Julian setzte sich. Das Sofa war breit und weich und für die unterschiedlichsten Gestaltungen der Blutspende geeignet. Pierre nahm neben ihm Platz, zog ohne zu Zögern den schwarzen Pullover aus und warf ihn achtlos neben sich. Sein Körper war bei seinem ersten Tod in ausgezeichneter Verfassung gewesen, aber auf seinen Unterarmen zeichneten sich tiefe Einkerbungen und Verbrennungen ab, die ihm
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