Novemberrot
Mordfall Heinrich Kreismüller auf und ließen ihn nachdenklich in den Fahrersitz sinken. Bei seiner Fahrt durchs Dorf bemerkte er zudem, dass sich im alten Ortskern seit damals kaum etwas verändert hatte. Unter all diesen Eindrücken musste man sich unweigerlich ins Jahr 1967 zurückversetzt fühlen. Weller hatte die Lautstärke des Autoradios während des Gesprächs mit Ceplak reduziert und die Musik plätscherte so eine ganze Weile vor sich hin … bis ein Gitarrensolo von Brian May den Kommissar wieder in die Realität zurückholte. Nun bemerkte er auch, dass im Gebiet hinter der Bahnlinie, wie es den Anschein hatte, in den letzten Jahren kräftig gebaut worden war. Die Gleise bildeten dabei eine Barriere zwischen traditionellen Basaltstein-Häusern und neumodischen Bungalows in Fertigbauweise. Einzig unterbrochen durch die Verlängerung der Frankenstraße, die aus dem Ortskern über einen beschrankten Bahnübergang ins neue Wohngebiet führte und einen Fußgängerüberweg, der mit einem Drehkreuz auf jeder Seite gesichert war, welcher von der Segbachstraße abzweigte. Am Ortsrand hatte die Gemeinde eine Mehrzweckhalle errichtet, wobei man deren Fertigstellungsjahr 1983 anhand einer Steintafel, die über dem Eingangsbereich angebracht war, im Vorbeifahren gut erkennen konnte. Kurz hinter der Halle zweigte dann der inzwischen asphaltierte Feldweg zum Gehöft der Kreismüllers nach rechts von der Dorfstraße ab. Als der Kommissar das letzte Mal diesen Weg befuhr, war er noch ein Holperpfad, übersät von Pfützen.
Kapitel 4
»Mensch Winfried, wo wohnen die hier nur? Dieser schlammige Morast soll eine Straße sein? Wir müssen aufpassen, dass wir nicht darin stecken bleiben!« Die beiden Kommissare waren, wie ihnen vom Wirt beschrieben wurde, von der Straße, die aus Mayberg hinaus in Richtung Kottenhausen führte, kurz hinter dem Ortsschild rechts in den Feldweg abgebogen. Dieser schlängelte sich zwischen Feldern und Wiesen hindurch, direkt zum Gehöft des Toten. Sie befanden sich gut dreihundert Meter vor dem Grundstück, als sie von einer Reiterin, die ihr schwarzes Pferd in scharfem Galopp über die rechts vom Weg liegende Wiese jagte, überholt wurden. Kurz nachdem sie den hellgrauen Dienstwagen der beiden Polizisten passiert hatte, verringerte sie ihr Tempo und blickte mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht in das Fahrzeuginnere zurück, um dann frei nach dem Motto »jetzt zeig ich euch mal, wer schneller ist« dem Ross die Sporen zu geben und die letzten Meter zum Hof im Eiltempo zurückzulegen. Die Beamten waren so darauf bedacht sich in der schlammigen Piste nicht festzufahren, dass sie zunächst überhaupt nicht bemerkt hatten, wer da von hinten angerauscht kam. Doch der Schreck machte dann sehr schnell, besonders bei Fritz, einer Bewunderung für die zierliche Frau Platz, da sie scheinbar mühelos das kräftige Pferd zu bändigen wusste. Als sie in den Hof einfuhren, war die Reiterin bereits abgestiegen und befestigte soeben die Zügel am eigens dafür in der Hauswand eingelassenen Eisenring, im linken hinteren Bereich des Gehöftes. Während das Pferd nun aus einem großen Basalt-Trog Wasser trinkend seinen Durst löschte, begann sie sofort das Tier zu reinigen und trockenzureiben. Ihr blondes, bis zur Mitte ihres Rückens reichendes glattes Haar glich einem leuchtenden Stern, inmitten dieser dunkelgrauen Umgebung. Denn das Haupthaus, wie auch die umliegenden Ställe, waren wie viele Gebäude in der Gegend, die um die Jahrhundertwende errichtet wurden, aus schuhkartonförmigen Basalt-Blöcken gebaut. Dazu die Dächer mit grauem Naturschiefer eingedeckt und die Eingangstür sowie sämtliche Fensterrahmen aus dunkelbraunem, massivem Eichenholz gefertigt. Der Hof selbst war komplett mit Kopfsteinen gepflastert. Auch die grasgrün gestrichenen, hölzernen Fensterläden vermochten dieses trübe Szenario nicht wirklich freundlicher zu gestalten. Und als Krönung hatte sich auch das Tageslicht der tristen Umgebung nahtlos angepasst, so dass, obwohl es erst gegen Mittag war, die Vermutung nahe lag, die Dämmerung sei bereits angebrochen.
Die beiden Kommissare stiegen aus ihrem Fahrzeug, stellten sich der jungen Frau vor und fragten sie nach Maria Kreismüller .
» Kreismüller ist schon richtig, aber ich bin ihre Tochter Rosi. Meine Mutter müsste eigentlich im Kuhstall beim Ausmisten sein. Was wollen sie denn von ihr?« Rosi zeigte sich sehr überrascht und wusste nicht so recht, was sie davon halten
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