Novemberrot
sollte, dass die Polizisten ausgerechnet zu ihnen gekommen waren und dann noch gezielt nach ihrer Mutter fragten. Maria, die durch das mit Dunst beschlagene Fenster des Stalls gesehen hatte, dass sich ihre Tochter mit Fremden unterhielt, kam in Stiefeln und beschmutzter Arbeitskleidung, die blonden mit grauen Strähnen durchzogenen Haare zu einem Dutt zusammengedreht, heraus und mit eiligen Schritten auf die Unbekannten zu. Sie beabsichtigte eigentlich, ihrer Tochter erst mal ordentlich die Leviten zu lesen, da sie, anstatt ihr bei der Arbeit zu helfen, lieber mit dem Pferd in der Weltgeschichte unterwegs war. Doch Rosi kam ihr zuvor: »Mama, das sind Polizisten aus Burgstadt. Sie haben nach dir gefragt.«
Maria blickte die Männer wortlos an, bis Hauptkommissar Schuster das Wort ergriff und den beiden Heinrichs Tod mitteilte. Die Polizisten hatten auf der Hinfahrt vereinbart, dass Winfried, da er die weitaus größere Berufserfahrung mit sich brachte, die Überbringung der traurigen Nachricht übernahm. Viele Morde hatte er zwar in seiner langen Dienstzeit, zum Glück wie er immer sagte, nicht aufklären müssen, doch fand er scheinbar mühelos die richtigen Worte, um den Angehörigen das Geschehene einfühlsam mitzuteilen. Maria sank, direkt nachdem sie die Nachricht vom Tode ihres Ehemannes vernommen hatte, weinend in Rosis Arme, den beiden Polizisten dabei ihren Rücken zuwendend .
» Wohnen denn hier auf dem Hof noch weitere Personen?«, wollte Kommissar Weller wissen und blickte dabei Rosi ins Gesicht. Heinrichs Stieftochter machte zwar auch einen betroffenen Eindruck, jedoch so niedergeschlagen wie ihre Mutter wirkte sie auf die beiden Beamten bei weitem nicht .
» Nur Manfred, mein Stiefbruder, und Katharina, unsere Magd«, war ihre knappe Antwort .
» Manfred wurde Anfang September zur Bundeswehr eingezogen und leistet zurzeit seinen Grundwehrdienst in Bremen ab. Die Woche über ist er immer fort. Freitags abends kommt er dann fürs Wochenende mit dem Zug nach Hause. Er müsste so gegen neunzehn Uhr hier eintreffen. Und Katharina, unsere alte Magd, ist drinnen. Sie ist mit Sicherheit dabei das Mittagessen zu kochen«, erklärte Rosi weiter .
» Kommen Sie mit, wir gehen ins Haus.«
Nach diesem Vorschlag drehte sich Rosi, ihre weinende Mutter immer noch im Arm haltend, um und die Kommissare folgten ihnen hinein. Die Magd nahm sie in Empfang und brachte die Mutter ins Wohnzimmer, das sich im Erdgeschoss des Hauses befand, damit sie sich aufgrund des Schocks, den diese Nachricht bei ihr ausgelöst hatte, auf das Sofa legen und ausruhen konnte. Währenddessen ließen sich Rosi und die Polizisten auf der in der Diele platzierten Sitzgruppe nieder. Die Tochter saß dabei in einem schweren, mit braunem Stoff bezogenen Sessel den Zweien gegenüber, die auf der Recamiere gleicher Machart Platz genommen hatten. Fritz wollte sich eben leger zurücklehnen. Jedoch hatte er dummerweise den Bereich des Möbelstücks erwischt, an dem die Rückenlehne schräg nach unten verlief, so dass er leicht ins Leere nach hinten weg kippte. Wäre die Gesamtsituation nicht so ernst gewesen, man hätte über diese Slapstick-Einlage Wellers echt lachen können. Winfried Schuster übernahm nun wieder die Initiative und teilte Rosi ruhig und sachlich mit, dass es, so wie es den Anschein hatte, sich um einen Mord handelte, da die Spuren eindeutig darauf hinwiesen. Die Stieftochter des Toten blieb von dieser Tatsache sichtlich unberührt. So als wenn die Polizisten just vor einer Sekunde nach einer Erklärung für ihr ungewöhnliches Verhalten gefragt hätten, gab sie ihnen diese postwendend: »Wissen Sie, mein richtiger Vater ist im Krieg gefallen. Kreismüller hatte uns nach dem Krieg bei sich aufgenommen, um uns zu helfen. Dann wurde meine Mutter schwanger und die beiden heirateten. Die erste Zeit hat sich Heinrich wirklich liebevoll um uns gekümmert. Aber irgendwann änderte sich sein Verhalten meiner Mutter und mir gegenüber. Während mein Stiefbruder alles bekam was er wollte und so gut wie nichts dazu hier auf dem Hof beitragen musste, hatten wir nicht viel zu lachen. Während ich nach der Volksschule meine Ausbildung zur Hauswirtschafterin in Köln machte, war meine Mutter seinen ständigen Nörgeleien und Beschimpfungen ausgeliefert. Sie schuftete Stunde um Stunde und rieb sich förmlich auf. Einmal hatte sie ein blaues Auge, als ich in den Ferien nach Hause kam. Und nachdem ich sie nach der Ursache dafür fragte, sagte sie
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