Novemberrot
Elternhaus in ihm.
Außerdem legte er ein besonderes Augenmerk darauf, dass sich sein neues Domizil in der obersten Etage befand, denn Weller hasste alleine die bloße Vorstellung, jemand könnte auf seinem Kopf herumtrampeln. Erleichtert stellte er fest, dass hier nur noch der Speicher darüber war, in dem sich allerlei Gerümpel im Laufe der Jahre angesammelt hatte. Bis dahin lebte er mit seiner Familie in einem ländlich anmutenden Vorort Burgstadts.
Das Einfamilienhaus hatten sie, kurz nachdem Karin schwanger wurde, in erster Linie für ihren Nachwuchs gemietet, da sie oder er in der Natur, umgeben von Pflanzen und Tieren aufwachsen sollte. Doch für Fritz, alleine wie er nun mal nach dem Auszug seiner Frau und dem Kleinen war, stellte die Unterhaltung der gemieteten Behausung nahezu unlösbare Probleme dar. Ganz zu schweigen von der notwendigen und stetigen Bearbeitung des geschätzt tausend Quadratmeter großen Gartens, in dem Obstbäume, Sträucher und Stauden, inklusive schier unzähliger Blumen, einer ständigen Pflege bedurft hätten. So fiel ihm sein Entschluss, das Ganze gegen eine Wohnung in Burgstadt einzutauschen, natürlich nicht schwer. Wenn er gefragt wurde, warum er das Haus nicht behielte, gab er immer zu Antwort, dass er aufgrund seines unregelmäßigen Dienstes schlichtweg nicht genügend Zeit habe, jedoch insgeheim hatte Fritz absolut Null Bock auf die Gärtnerrolle.
Nachdem er sich von seinen klammen Klamotten entledigt, heiß geduscht, bequeme Freizeitkleidung angezogen und eine aufgebackene Tiefkühlpizza gegessen hatte, legte er seine Lieblingsscheibe A night at the opera fast ehrfürchtig auf, setzte sich im Wohnzimmer in seinen guten, alten, braunen Ledersessel und blickte im Lichtschein der Stehlampe aus dem großen Panoramafenster ins sternenlose Dunkel der Nacht. Zuvor hatte sich Fritz noch eine Flasche des Chiantis entkorkt, welche er im Wohnzimmerschrank für besondere Anlässe wie Geburtstage oder Besuche aufbewahrte .
» Etwas zu feiern gibt’s heute wahrlich nicht«, dachte er bei sich, schenkte sich das Weinglas großzügig ein und nahm einen tiefen Schluck. In Erinnerung an seinen ehemaligen Kollegen Winfried Schuster, der vortrefflich die Stimme und das Gehabe eines versnobten Adeligen imitieren konnte, hüstelte er dann noch: »Auf das Dekantieren verzichte ich heute ausnahmsweise.« Fritz gestand sich diesen kleinen Affront, in der sicheren Gewissheit, überhaupt kein entsprechendes Gefäß sein Eigentum nennen zu dürfen, schmunzelnd zu. Doch aus der Pulle trinken musste allerdings auch nicht sein.
Tagsüber, bei gutem Wetter, konnte man so eine atemberaubende Aussicht über die Stadt, den Rhein mitsamt seinem Nebenarm, bis weit in die angrenzende, waldreiche Mittelgebirgslandschaft genießen. Doch jetzt hatte das schier endlos wirkende Schwarz der Nacht, mit Unterstützung des noch immer anhaltenden Nieselregens, fast alles gnadenlos verschlungen. Einzig der Halogen bestrahlte Wehrturm, welcher zur Ruine einer Trutzburg gehörte, die im Hang auf der gegenüberliegenden Flussseite gelegen war, reckte dem Dunkel grimmig seine Zinnen entgegen. Und unter dem Einfluss des Weines und der Musik verlor sich Wellers Blick im Nirgendwo der unwirklich scheinenden Nacht. Sein Bewusstsein, seine Gedanken verschwammen darin.
Kapitel 9
Obwohl es bereits später Freitagabend war, sagte sich Kommissar Weller: »Warum bis morgen warten, vielleicht komme ich noch heute der Lösung einen Schritt näher.« Am Vormittag hatte er auf einer kleinen hölzernen Tafel, welche in Augenhöhe rechts neben dem Eingang zur Dorfkneipe auf der Hausmauer angebracht war, quasi im Vorbeigehen gelesen, dass dort auch Fremdenzimmer angeboten werden.
So fasste Fritz nun den Entschluss, das Wochenende in Mayberg, am Ort des Geschehens zu verbringen. Denn dieser erste, richtige Fall wie er es empfand, hatte seinen Ehrgeiz aufs Äußerste angestachelt und er brannte förmlich darauf, seinem altgedienten Kollegen Schuster die vielleicht entscheidenden Erkenntnisse am Montag aufzeigen, oder idealerweise den Täter gar selbst überführen zu können .
» Wäre doch gelacht, wenn ich diesen einfältigen Landeiern nicht auf die Schliche kommen würde!«, heizte sich der junge Polizist mental an.
Ehe er sich nun in seinem N SU Prinz auf den Weg machte, getrieben von der schier unerschütterlichen, mitunter naiven Einstellung, alles Vorgenommene auch erfolgreich abschließen zu können, hastete Weller schnell
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