Novemberrot
hatte sich eine Gruppe von Männern, augenscheinlich alle jenseits der fünfzig, platziert, welche unüberhörbar über Kreismüller diskutierte und somit mit Abstand die lauteste Gesellschaft im Raum bildete.
Die in der hinteren Wand eingelassene gläserne Schiebetür stand sperrangelweit offen. Durch sie gelangte man von der eigentlichen Wirtschaft in den großen Saal, in dem nahezu alle Feierlichkeiten des Ortes, angefangen mit Fastnachts- und Kirmesveranstaltungen, über Vereinsversammlungen, bis hin zu Geburtstagen, Hochzeiten und Beerdigungskaffees, wie heute nach der Bestattung des alten Elzer, ausgerichtet wurden.
Daneben befand sich die Kegelbahn in einem separaten Raum. Trotz der verschlossenen Tür war das lärmende Scheppern der umfallenden Pins, gefolgt von herzhaftem, weiblichem Gejohle kaum zu überhören. Eine Gruppe Halbstarker malträtierte den im vorderen Bereich des Saales platzierten Flipper-Automat aufs Heftigste.
Einen weiteren Höhepunkt in der elektronischen Ausstattung der Kneipe bildete der an der cremefarbenen Decke hängende Ventilator, welcher sich zwar wild rotierend bemühte, für Frischluft zu sorgen, jedoch lediglich bezweckte, wie Weller es sarkastisch empfand, den reichlich vorhandenen Qualm von diversen Rauchwaren bis in die äußersten Ecken des Etablissements fein säuberlich zu verteilen.
Da nun alle Gäste mit ihren Sachen beschäftigt waren, wurde Fritz zunächst kaum wahrgenommen. Nur Rosi, die heute Abend trotz des mysteriösen Todes ihres Stiefvaters hinter der Theke dem Gastwirt aushalf, erkannte ihn sofort und verfolgte ihn mit ihren Augen, als er quer durch den Raum auf die rechts neben der Schiebetür stehende Musikbox zusteuerte. Er stellte seine Tasche neben sich ab und studierte die angebotene Liederauswahl.
Fast ausnahmslos hatte Anton Pohlert, der Wirt, sie mit deutscher Schlagermusik bestückt. Doch Weller staunte nicht schlecht, da sich tatsächlich Light my fire von The Doors dort hinein verirrt hatte. Er kramte ein silbrig glänzendes Fünfzigpfennigstück aus seiner Hosentasche, drücke E7 und der Wahlmechanismus wurde sogleich in Gang gesetzt.
Kaum waren die ersten Takte erklungen, drehten sich die meisten Einheimischen zur Musikbox um und zu deren Erstaunen erblickten ihre Augen einen Fremden. Raunen und missmutiges Kopfschütteln, aufgrund der getroffenen Titelwahl, machte die Runde .
» Der muss sich wohl verlaufen haben!«, war unter anderem zu hören. Tohn, wie der Wirt von den Dörflern nur genannt wurde, bemerkte jetzt seinen neuen Gast, kam um die Theke herum und begrüßte Kommissar Weller herzlich. Der, sichtlich müde aufgrund des langen, nervenaufreibenden Arbeitstages, fragte ihn wie geplant nach einem Zimmer für die nächsten drei Nächte, was freudig vom Kneipier aufgenommen und sogleich bejaht wurde. Schließlich bedeutete dies eine nichteingeplante, zusätzliche Einnahme.
Von dieser freudigen Nachricht beseelt, eilte Pohlert sofort zurück hinter die Theke, angelte aus einer Schublade den passenden Zimmerschlüssel und bat den Polizisten mitzukommen. Fritz folgte dem Wirt durch die links hinter der Theke befindliche Tür hinaus in den schwach beleuchteten Flur. Im Vorbeigehen kreuzten sich seine Blicke mit denen Rosis und sie grüßten sich kurz. Links vom Treppenaufgang befand sich die Küche und rechts davon die diversen Örtlichkeiten.
Als Ergebnis dieser Konstellation herrschte im Gang ein anmutiges Flair, bestehend aus für Fritz undefinierbaren Essensgerüchen, garniert mit schalem, in Zigarettenqualm gehüllten Bierdunst und abgerundet vom typischen Duft der Toilettensteine. Der Hausherr schritt die Treppe in den ersten Stock des Gebäudes voran, wo außer den besagten drei Fremdenzimmern auch eine separate Gemeinschaftstoilette im Gang untergebracht war. Er selbst wohnte mit seiner Frau und den dreizehnjährigen Zwillingssöhnen in der Etage darüber.
Tohn öffnete die Kammer mit der Nummer drei, welche am hintersten Ende des Flurs gelegen war und präsentierte sie so voller Stolz und Inbrunst, dass Fritz unweigerlich den Eindruck haben musste, er beziehe ein Luxus-Apartment.
Dabei war das im Fünfzigerjahre-Design tapezierte Zimmer mit einem Doppelbett, einem schmalen Kleiderschrank und einem Stuhl eher schlicht möbliert. Aus Platzgründen war nur am rechten Kopfende des Bettes ein Nachttisch angebracht. Auf der linken Seite hatte der Wirt, wie es den Anschein hatte, eine alte, bei sich ausrangierte Stehlampe postiert.
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