Novizin der Liebe
Edmund kam auf sie zu – ohne Krücken, ohne Beinschiene, ohne das geringste Anzeichen eines Humpelns –, völlig gesund und munter. Er hatte sie getäuscht. Eine bittere Erkenntnis. Der andere Mann war hochgewachsen und hatte langes blondes Haar, das im Nacken mit einer schafsledernen Schnur zusammengehalten wurde. Seine Augen waren von eisigem Blau. Judhael. Er nahm Cecilys Begleiter die Zügel ihres Ponys aus der Hand.
„Ab hier führe ich sie, Gunni“, erklärte er.
„Gunni?“ Der Mund stand Cecily offen vor Staunen, als der Mann im Schaffellwams sich umdrehte und zum Feuer hinüberging. Der Schafhirte ihres Vaters. Sie hatte ihn nicht erkannt.
„Edmund, wo ist Philip?“, fragte sie. „Ist er in Sicherheit? Und was ist mit Emma?“
„Beide sind hier. Beide sind wohlauf“, sagte Judhael in knappem Ton. Statt sie zu beruhigen, ließen seine Worte Cecily bis ins Mark erschaudern – denn sie passten nicht zum Ausdruck seiner Augen, der eisig war und völlig gleichgültig. „Was mich interessiert, ist, woher Ihr wusstet, wo Ihr nach uns suchen müsst.“
Unwillkürlich sah Cecily zu Gunni hinüber. Judhaels Augen wurden schmal. „Lufu?“
Cecily spürte, wie sich die Flaumhaare an ihrem Nacken aufrichteten. Nie zuvor war sie einem Mann begegnet, der derart erbarmungslos wirkte. „Nein. Nein!“
„Lufu. Dieses verfluchte Plappermaul! Hier, Edmund.“ Judhael warf dem anderen Leibwächter Clouds Zügel zu. „Du kümmerst dich um die hier. Ich werde bald zurück sein.“
Edmund sah Judhael nach, wie er – einen Unheil kündenden Ausdruck in den Augen – mit großen Schritten die Lichtung verließ.
„Edmund, was hat er vor?“
„Bin ich Judhaels Hüter?“
„Er wird Lufu doch nichts zuleide tun, oder …?“
Mit einem Kopfschütteln führte Edmund die Ponys zu einem Baum und schlang die Zügel um einen tief hängenden Ast. „Cecily, Ihr könnt die Welt nicht retten.“
Unter den Bäumen war ein Unterschlupf errichtet worden – eine Art Zelt aus Segeltuch, unter dem mehrere Personen Schutz vor dem Regen gesucht hatten. Mürrisch dreinblickende Krieger mit Schwertern an den Hüften hockten auf Holzblöcken – alles in allem vielleicht zwei Dutzend an der Zahl. Kaum die mächtige Rebellenarmee, die Cecily erwartet hatte. Ihre Vorräte waren jämmerlich: ein paar Stapel Brennholz, ein zwischen zwei Pfählen aufgehängter Hirschkadaver. Ein Baumstamm diente als Versammlungstisch, und ihr Unterschlupf besaß keine Wände, die Wind und Regen hätten abhalten können. Oder Wölfe. Sie erschauderte.
„Du dachtest, Philip wäre hier in Sicherheit?“ Obwohl Cecily sich fürchtete, hatte ihre Stimme zu ihrer Freude einen festen Klang. „Das denke ich nicht. Er ist zu früh auf die Welt gekommen und braucht mehr Pflege und Zuwendung, als ihr ihm hier geben könnt.“
Edmunds Miene nahm einen verschlossenen Ausdruck an. „Euer Bruder ist, wo er hingehört. Unter Angelsachsen. Wir werden uns um ihn kümmern.“
Cecily kannte diesen entschlossenen Gesichtsausdruck. Genau so hatte ihr Vater dreingeschaut, als er ihr mitgeteilt hatte, dass sie ins Kloster müsse. All ihr Weinen und Flehen war vergeblich gewesen. Sie biss sich auf die Lippe. Sie erkannte eselsgleiche Sturheit, wenn sie ihr begegnete.
Flüchtig wandte sie ihre Aufmerksamkeit den Männern unter der Segeltuchplane zu in der Hoffnung, eine Schwachstelle in dem Panzer aus Gleichgültigkeit zu entdecken, der sie umgab. Doch auch ihre Mienen waren wie versteinert, auch sie zeigten keinerlei Mitgefühl. Emma war weit und breit nicht zu sehen, es gab niemanden, an den sie sich hätte wenden können. Cecily unterdrückte ein Seufzen. Vielleicht sollte sie indirekt vorgehen, wenn die offene Auseinandersetzung sie nicht weiterbrachte. Wenn sie einen Weg wählte, den zu erproben sie vor vier Jahren noch zu jung gewesen war, vielleicht …
Mit einem zarten Lächeln auf den Lippen wandte sie sich abermals an den Leibwächter ihres Vaters. „Dein Entschluss steht fest, wenn ich es richtig verstehe?“
„So ist es.“
Sie zog einen Fuß aus dem Steigbügel. „Dann sollte ich mich besser nützlich machen, nicht wahr? Edmund, hilf mir aus dem Sattel. Ich habe Philips Windeln in meinem Bündel.“
„Ich bedaure, dass Ihr die Dinge nicht ebenso seht wie wir, Mylady“, murmelte Edmund, als er ihr beim Absitzen half. Die silbernen Armreifen, die ihr Vater ihm geschenkt hatte, klimperten an seinen Handgelenken. Er winkte Wat zu sich, damit er
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