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Noware (German Edition)

Noware (German Edition)

Titel: Noware (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Post
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vielfach
wiederholte Graffitti an seiner Seitenwand.

    *
    »Siehst du das hier?«
Agnes zeigte auf die letzte Zeile der sonderbaren Mail.
    »Copyright Navi Warner«, las
ich.
    »Anagramm. Er heißt in
Wirklichkeit Ivan Narrew. Ein Witzbold.«
    »Ein Kollege von dir«,
verstand ich.
    »Hä?«, machte Rolf.
    »Wir gehen besser«, drängte
ich. Ein paar Kollegen hatten ziemlich drastische Ansichten, was
Werbemails anging. Dass deren Verfasser auf einen Scheiterhaufen
gehörten, war noch eine der harmloseren Varianten.
    Draußen suchten wir nach
Nahrung. Der Subway hatte zu, der Bäcker auch. Unser Hunger wuchs,
unsere Laune sank. Ein ganzes Ende weiter Richtung Innenstadt fanden
wir eine Pommesbude mit türkischem Gastwirt.
    »Wo sind die ganzen Leute?«,
fragte ich.
    »Sitzen vorm Fernseher«,
zuckte Agnes die Schultern.
    »Aber da kommt doch nichts«,
entgegnete ich und zeigte auf das Gerät oben unter der Decke, das
nur ein Testbild zeigte.
    »Aber es könnte wieder etwas kommen. Jeden Moment.« Unsere Blicke hefteten sich an
die Mattscheibe.
    Der Moment verging, ohne dass
sich etwas am Testbild änderte.
    »Es ging zu schnell«,
sinnierte Agnes.
    »Was?«
    »Die Anschläge«, antwortete
sie und kratzte sich am Kopf. »Du weißt doch, wie lange es dauert,
wenn ein paar Leute etwas kompliziertes zu organisieren haben.«
    Ich dachte an den letzten Monat
zurück, als ich in der Firma um eine neue Tastatur gebeten hatte,
weil bei meiner alten P und L klemmten. Ich würde wohl nie mehr
Ersatz erhalten.
    »Die Anschläge kamen so
schnell, dass alle Kommunikation zusammengebrochen war, bevor jemand
da oben seinen Vorgesetzten anrufen konnte, um zu fragen, was er nun
tun soll.«
    »Pommes fertich«, rasselte
der Wirt und schob uns zwei Teller rüber. Ich nahm das Essen an und
stellte es zwischen Agnes und mir ab. »Trotzdem wird irgendwann
alles repariert werden.«
    »Wirklich?« Agnes aß die
heißen Pommes mit den bloßen Fingern. »Wir müssen davon ausgehen,
dass die ganze Welt betroffen ist. Wer sich soviel Mühe gibt, die
Zivilisation in die Steinzeit zu bomben, schaut sicher nicht geduldig
dabei zu, wie mal eben schnell die Leitungen geflickt werden.«
    Ich schüttelte den Kopf und
konzentrierte mich auf meine Pommes. »Das kann doch alles nicht wahr
sein.«
    »Fühlt es sich denn wie eine
besonders trickreiche Fernsehshow an?«
    »Eher wie ein unglaubwürdiger
Katastrophenfilm. Aber nach jeder Katastrophe geht es wieder
aufwärts.«
    »Komm jetzt nicht auf die
Idee, diese Sache mit dem Wiederaufbau nach dem Krieg zu
vergleichen«, sagte Agnes und zeigte mit einem Kartoffelstäbchen
auf mich. »Heute arbeitet niemand freiwillig, ohne Geld dafür zu
kriegen. Und Lohn kann niemand zahlen, weil das ganze Finanzsystem
zusammengebrochen ist. Weißt du, wieviele Nullen Verluste im
Billiardenbereich haben?«
    Ich schüttelte den Kopf.
»Wovon redest du?«
    Agnes zuckte die Schultern.
»Ich kann Eins und Eins zusammenzählen und viel mit
unendlich multiplizieren. Die ganze Sache riecht nach Leuten, die
unseren schönen Kapitalismus für ein Werk des Teufels halten. Sie
werden nicht ausgerechnet die Leitungen verschont haben, die bei den
großen Banken in den Keller führen.«
    »Ist es denn wirklich so
einfach, soviel Schaden anzurichten?«
    »Also, mein Computer ist schon
abgestürzt, wenn ich ihm einen Fußtritt versetzt habe, und glaub
mir, das war nicht selten. Tja, und Sicherheitskontrollen gibt es
zwar auf Flughäfen, aber nicht vor dem grauen
Telekom-Verteilerhäuschen an der Ecke.«
    »Und was machen wir jetzt?«,
fragte ich, als unsere Teller leer waren.
    »In manchen Geschichten würden
wir jetzt aus Frust 'ne Runde vögeln«, versetzte Agnes. Ich wurde
rot. »Aber keine Sorge«, fuhr sie fort, »das hier ist ja keine
Geschichte, sondern die Wirklichkeit.«
    Ich musste grinsen. »Ich
wünschte, es wäre anders«, rutsche mir raus.
    »Leck mich«, sagte Agnes,
stand auf und ging.
    Eine unsichtbare Kraft hielt
mich auf meinem Stuhl fest. Ich brachte nicht einmal ein »Aber«
heraus. Als ich wenigstens den Kopf Richtung Tür drehte, war von
Agnes schon nichts mehr zu sehen.
    Erst nach einigen Minuten
Warten bezahlte ich. Als wollte ich auf Nummer Sicher gehen, ihr
draußen nicht mehr zu begegnen, über meinen harmlosen Satz nicht
diskutieren zu müssen. Ich machte mich zu Fuß auf den Heimweg.
    An der nächsten Kreuzung lag
ein Fahrrad mitten auf der Straße. Die zugehörige Leiche war von
ein ganzes Stück weiter

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