Nox Eterna - Die ewige Nacht der Anne Oxter
erstarkter Sklave machte Anstalten, sie mit seinem Schwert zu attackieren. Somnium fugit! dachte Anne und wachte auf.
XI
7. Oktober 2010
Sie spürte, dass sie verlieren würde. Alle Vorräte in der Hütte waren längst aufgebraucht, Anne lebte von Wasser und ein paar Nüssen und Beeren, die sie gesammelt hatte. Sie wusste nicht mehr, woher ihr Körper noch Kraft bezog. In einer letzten Anstrengung hatte sie sich nach draußen geschleppt, weg von Nox und ihren mittlerweile verlockenden Fluchtmöglichkeiten, hinaus in eine kalte Realität. Der Winter hatte früh begonnen in diesem Jahr, sie sah über weiße Hügel in die Ferne, dorthin, wo Puck gerade in einem Meer von Weiß verschwunden war. Sie konnte den Weg kaum erkennen, auf dem sie vor vielen Tagen gekommen war.
Ein grauer Punkt näherte sich durch das wilde Toben der Schneeflocken langsam über den Pfad hoch zur Hütte, wurde größer. Annes Hirn versuchte ihn zu deuten, sah einen Eisbären oder einen Yeti. Die Gestalt bewegte sich langsam und schleppend wie jemand, dessen Kräfte zu Ende gehen, sackte gut 200 Meter vor dem Haus in einer Schneewehe in sich zusammen und blieb liegen.
Das Überleben des Stärkeren, dachte Nox und verzog keine Miene, während Anne ihre wenigen Kleider, zuletzt den alten, viel zu großen Mantel überstreifte, den sie in der Hütte gefunden hatte, dessen Saum bis auf den Boden reichte und eine Schleppe durch den Schnee nach sich zog, als Anne sich fort vom Haus zu der Stelle durchkämpfte, an der der Yeti oder was immer es war zusammengebrochen war. Sie hatte Mühe, auf dem Weg zu bleiben, duckte sich auf den Boden, wenn Böen ihr Schneekristalle ins Gesicht jagten, erreichte aber schließlich die am Boden liegende Gestalt und hob mühevoll den Kopf des Bewusstlosen. Sie hatte das leere Gesicht eines Halbtoten erwartet, aber dieses Wesen lächelte. Es öffnete die Augen, sagte nichts, aber lächelte. Alan!
Weil Alan in dieser Nacht an ihrer Seite schlief, hatte Anne sich vorgenommen, einen weiteren Anlauf zu unternehmen, Nox in Nethernox zur Rede zu stellen und sich von ihr zu befreien. Sie ahnte nicht, dass Nox sich dieser Verstärkung auf Annes Seite bewusst war und bereits eine Strategie entwickelt hatte.
„Du kannst mich nicht mehr so benutzen.“ sagte Anne ruhig.
Nox fixierte sie mit eiskaltem Blick, sie konnte nicht von ihren Augen lassen, sie stachen tief.
„Menschen sterben. Alles geht kaputt. Ich will das nicht mehr.“
Nox ging langsam auf sie zu. Sie lächelte.
Anne lies sich nicht beirren. Ihre Stimme wurde lauter.
„Das ist jetzt das Ende. Es geht nicht weiter. Schluss!“
Sie biss sich auf die Lippe. Mit jedem Schritt, den Nox auf sie zu tat, fühlte sie sich kleiner, schmaler, sie verlor sich in der kalten Aura ihres bösen Ebenbilds. Dieses summte leise, schlenderte in ihre Richtung, blieb wenige Zentimeter vor ihr stehen und legte den Kopf etwas schief. In ihrem Gesicht spielte sich eine sonderbare Veränderung ab.
„Ich glaube, du hast ein Grundprinzip unserer Beziehung nicht verstanden.“ sagte sie mit sanfter Stimme. Ihre langen Finger griffen Annes Hand, ihre Haut fühlte sich an wie Schnee, weich, aber eiskalt.
„Ich bin du.“ Die Zauberin lächelte, ihr Blick wurde weich, enthielt eine Wärme, die man ihr kaum zugetraut hätte. „Ich bin dein ureigenes, ganz privates Bedürfnis nach Rache.“
Sie fasste Annes Kinn, hob es ein Stück an. Anne starrte auf eine markantere Version ihrer eigenen Gesichtszüge. Dennoch waren sie ihr fremd, kamen ihr vor wie verzerrt, nicht richtig zusammengefügt. Der schwarze Puck auf Nox' Schulter zischte leise.
„Lass dich los!“ hauchte Nox. „Ich kann dir zeigen, wie die Welt sein könnte. Du willst es genauso wie ich. Alles in dir, das sich noch an diese kleine, unbedeutende Normalität bindet, sind diese nutzlosen, dir anerzogenen Werte.“
Sie beugte sich vor, drückte Anne einen eiskalten Kuss auf die Lippen und griff dabei nach dem weißen Puck in Annes Manteltasche. Er strampelte in schierer Panik, die kleinen Augen wie blaue Edelsteine blitzend. Nox trat einige Schritte zurück, seufzte leise, und legte den Kopf in den Nacken.
„Ich bin das urtümliche Feuer, das in dir brennt!“
Ihre Stimme wurde eindringlich, lauter, schon hallten ihre Worte von den hohen Wänden wieder. „Chaos liegt deinem Wesen zugrunde. Chaos liegt allem zugrunde. Und am Ende wird es immer
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