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Nox Eterna - Die ewige Nacht der Anne Oxter

Nox Eterna - Die ewige Nacht der Anne Oxter

Titel: Nox Eterna - Die ewige Nacht der Anne Oxter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damian Raye
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11. September 2010
    Ihr Entschluss stand fest. Sie würde fortgehen, sobald Alan über den Berg war. Sie konnte aber nicht warten, bis er aus dem Krankenhaus entlassen werden würde. Das bedauerte sie, doch sie fürchtete sich vor sich selbst und den Dingen, die sie tun würde.
     
    Wer würde zuerst merken, dass sie verschwunden war? Ihre Eltern? Vermutlich, denn sie war in ihrer Rolle als Tochter ein Festpunkt in der familiären Alltäglichkeit. Alan? Auch er würde sie sicher früh vermissen. Silly? Ihre Klassenlehrerin? Pfarrer Liffles? In ihrer aller Leben nahm Anne einen Platz, doch darauf könnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen.
     
    Es würde kein Problem sein, die Spuren zu verwischen, nichts zu hinterlassen, was es ermöglichte, ihr zu folgen an den Ort, an dem sie nach Klarheit suchen, an dem sie Nox Eterna herausfordern und besiegen wollte. Den großen Kampf kämpfen, ohne Unbeteiligte in Gefahr zu bringen, ohne auf Hilfe zu warten, die sie ohnehin nicht finden konnte. Anne hatte nur kurz überlegen müssen, wo dieser Ort sein würde. Eigentlich hatte sie schon um seine Besonderheit gewusst, als sie in das erste Mal besucht hatte. Und dieser Ort hatte den Vorteil, dass niemand sonst von seiner Existenz wusste.
     
    Sie packte eine Tasche und den Rucksack, versteckte das Gepäck hinter ihrem Bett und war nun bereit für den Aufbruch, hoffte auf so etwas wie ein Zeichen, doch die Sekunden und Minuten vergingen quälend langsam, ohne dass etwas geschah. Nein, noch war der richtige Zeitpunkt nicht gekommen. Obwohl sie am Ziel dieser Reise ein schreckliches, vielleicht tragisches Ereignis erwartete, würde sie froh sein, wenn es endlich einträte. Nichts war schlimmer als das Warten auf etwas Unausweichliches.
     
12. September 2010
    Die Beisetzung von Sam Grody auf dem Maidstone Cemetery bestärkte Anne in ihren Planungen. Der halbe Ort war auf den Beinen, nahm Anteil am Unglück der Familie, tröstete die Witwe und die Kinder. Pfarrer Liffles hielt eine wenig begeisternde, fast unbeteiligt wirkende Grabrede. Nein, Rhetorik war seine Sache nicht.
     
    Anne hatte es nicht übers Herz gebracht, sich unter die Trauernden zu mischen, stand zwischen den Baumreihen am Rande des Friedhofs und fühlte sich innerlich kalt und leer. Das ist also der Seelenzustand einer Mörderin, sagte sie sich. Sie fühlte nichts, weinte keine Träne. Wie gerne hätte sie es heute Morgen noch heraus geschrieen: Ich bin es, ich habe das getan, bestraft mich! Das alles hier geschieht durch meine Schuld! Doch offenbar hatte nun Nox die Oberhand gewonnen, ihr Gewissen in Gefühllosigkeit erstickt, das Gute in ihr zum Schweigen gebracht. Sie wandte sich von der bedrückenden Szene ab und machte sich auf den langen Weg zum Hospital am nordwestlichen Stadtrand.
     
    Alans Verwundungen heilten erstaunlich schnell, er saß aufrecht in seinem Bett, als Anne zu Besuch kam. Als sie ihn sah, lachend trotz seines Verbandes, unbeeindruckt von dem Tropf, dessen Schlauch in seine Seite führte, wusste sie, dass sie sich heute von ihm verabschieden musste.
     
    „Ich möchte dich jetzt für eine Weile nicht sehen!“ sagte sie leise und mit gesenktem Blick. Sie traute sich nicht, ihm in die Augen zu schauen. Alan reagierte völlig anders, als sie es erwartet hatte. Keine Verwunderung, keine Beschwerden oder Vorwürfe, kein Bitten und Betteln, allenfalls ein wenig Traurigkeit.
     
    „Wenn das so ist …“, entgegnete er mit sanfter Stimme, indem er ihren Kopf hob und ihr in die Augen sah, „dann muss das so richtig sein.“
     
    Seltsam, er schien alles zu verstehen, schien sich einzufühlen in Annes geheimsten Gedanken, machte den Eindruck zu wissen, was in ihrem Kopf vor sich ging. Es war ein leichter, heiterer Abschied, und sie hoffte, dass es nur ein Abschied für kurze Zeit sein würde.
     
13. September 2010
    Was sollte mit Puck geschehen, wenn sie nicht mehr zuhause war? Anne überlegte kurz, ob sie den Käfig ihres Frettchens einfach vor Sillys Wohnungstür abstellen sollte, setzte das schnell in die Tat um. Es war erstaunlich einfach, nicht entdeckt zu werden. Die Büsche im Garten boten ihr genug Deckung. Zwar keckerte Puck laut, als sie sich entfernte, aber niemand schien ihn zu hören.
     
    Sie hatte auf der Heimfahrt überlegt, was sie vergessen haben mochte, hatte schon die Haustür aufgeschlossen, als es ihr durch den Kopf schoss: Nein, nicht ohne Puck! Irgendetwas sagte ihr, dass ihr kleiner weißer Begleiter eine wichtige

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