Nox Eterna - Die ewige Nacht der Anne Oxter
nur Tod und Verderben geben!“
Vor den Fenstern, die wie mit Schwerthieben in den schwarzen Stein geschnitten waren, zogen dunkle Wolken auf. Annes Lippen waren vom kalten Kuss der Zauberin wie gefroren, sie brannten und ließen sich nicht voneinander lösen. Sie tat einen Schritt auf Nox zu, aber als sie die Hand nach ihrem Frettchen ausstreckte, stach ihr ein spitzer Schmerz durch die Brust.
„Es ist Zeit, dass wir das richtig angehen.“ Nox lachte leise in sich hinein, drehte sich langsam im Kreis, schien zu einem nur für sie hörbaren Lied zu tanzen.
„Die ganze Erde schreit nach Blut. Zerstörung ist das neue Wachstum!“ Sie massierte mit ihren ringbeladenen Fingern Pucks Rücken, hielt ihn über ihrem Gesicht in die Höhe. Der schwarze Puck keckerte ihr leise ins Ohr.
„Was ist wichtig, Anne?“ fragte sie mit Nachdruck. „Liebe? Freundschaft? Gerechtigkeit? Oh, Anne! Sag doch etwas, Anne!“
Ihr Lachen gellte durch den Saal, es hallte in Annes Ohren wieder und sie wollte antworten, wollte schreien, als sich die Hände ihres bösen Ebenbilds um den zierlichen Nacken ihres Freundes legten. Anne fuhr sich mit den Nägeln über die Lippen, wollte sie öffnen, aufreißen, um ein Nein! hervorbrechen zu lassen, doch sie zerkratzte nur ihre glatte Haut, Blut tropfte über ihre Finger.
„Anne, schau! Selbst Puck gibt sich dem Chaos hin!“ Nox schrie diese Worte heraus, ihre Stimme überschlug sich, verzerrte die Worte, so dass Anne ihre Bedeutung kaum verstand. „Chaos! Das Chaos herrscht! Puck, dein lieber Freund Puck, er erkennt das Grundprinzip des Chaos an!“
Anne presste die Hände auf ihre Ohren, aber Nox Stimme durchbrach jeden Schutz, kroch ihr durch Fleisch und Knochen, bohrte sich ungehindert in die letzten Windungen ihres Hirns. Sie wusste, was folgen würde, aber sie wollte es nicht hören, nicht sehen. Sie schloss ihre Augen, doch sie sah weiter durch die Augen von Nox, hörte mit ihren Ohren, war nicht mehr Herrin ihrer Sinne.
Puck gab keinen Laut von sich, als Nox mit einer kleinen Bewegung sein Genick brach. Seine Knopfaugen starrten weiterhin in Annes Richtung, als sein zierlicher Körper erschlaffte. Anne ging langsam in die Knie. Ihre Lippen lösten sich, aber der Schrei blieb ihr im Hals stecken. Der schwarze Marmor war kalt unter ihren zitternden Knien, eiskalt wie auch sonst alles um sie herum.
Nox ließ Puck zu Boden fallen. Das schwarze Frettchen auf ihrer Schulter gab einen leisen fiepsenden Ton von sich und verlor die Kontrolle über seine Gliedmaßen. Als es mit einem stumpfen Laut neben Puck auf den Boden prallte, waren seine Augen bereits von einem trüben Nebel überzogen.
Anne lief zu Puck, kaum dass sie sich wieder auf den Beinen halten konnte. Ihre Tränen fielen auf seinen weißen Pelz.
„Wir müssen beide Opfer bringen, Anne“, sagte Nox ruhig, auf eine erschreckende Weise liebevoll, und wies ihre Diener mit einer Handbewegung an, die Körper der toten Frettchen zu entfernen.
8. Oktober 2010
War das hier eine Zelle oder ein Krankenzimmer? Gefängnis oder Psychiatrie? Alan hatte ihren Aufenthaltsort gefunden und verraten, Annes Eltern hatten allen Grund, sie in die psychiatrische Abteilung des Maidstone Hospitals einliefern zu lassen. Das wusste Anne. Sie hatte – in ihrer Sichtweise des Geschehens – mit einem nicht existierenden Wesen in einer Hütte in den Highlands gehaust und dieses mit dem Vornamen Nox angesprochen. Zuletzt war sie wie von Sinnen gewesen, als hätte sie gerade einen schweren Verlust erlitten, für den es aber keinen Anhaltspunkt gab.
Ihre Tochter war psychisch gestört, soviel wussten sie. Ebenfalls für diese Diagnose sprach die Tatsache, dass Anne auf dem ganzen Weg aus den Highlands nach Maidstone kaum ansprechbar war. Sie drückte sich an Alan, sprach kein Wort. Sie und niemand sonst ahnte, wie schlimm der Fall Anne Oxter stand: Sie selbst war überzeugt davon, dass ihre Träume die Welt beeinflussten, ja, sie in ihren Grundfesten erschüttern könnten und sie war von dieser Wahnvorstellung nicht abzubringen. Die Behandlung würde lange dauern.
Ihre Eltern und die Ärzte wussten auch nicht, dass sie eigentlich zwei Personen in diese Zelle namens Krankenzimmer gesteckt hatten, dass Nox noch immer bei ihr war, sie quälte und ängstigte, trotz aller Medikamente, die ihr eine merkwürdige, unwirkliche Seelenruhe verschafften, ihr Problem aber nicht lösten. Alan besuchte
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