Nr. 13: Thriller (German Edition)
Mein Mann hatte schlechte Laune, weil wir dadurch erst mittags losfahren konnten. Wir standen schon hinter der Haustür im Stau. Ganz Köln war dicht. Bei der Abfahrt schlief Thijs, daher setzte ich mich auf den Beifahrersitz. Aber durch das stop and go wurde er wach und quengelte. Das und der zäh fließende Verkehr machten Friedrich nervös. Also hüpfte ich bei der nächsten Gelegenheit auf den Rücksitz, wo Thijs im angeschnallten Maxi-Cosi lag und nölte. Ich versuchte, ihn mit Fingerspielen und Reimen abzulenken, aber es half nicht. Es wurde immer erger .“
„Und Ihr Mann immer aufgebrachter.“
Leentje senkte ihren Blick, ein stummes Ja . „Als Friedrich ihn über die Schulter hinweg anbrüllte, er solle endlich still sein, fing Thijs an zu kreischen und zu huilen . Der Kleine schrie und schrie und schrie. Es war auch für mich kaum zum Aushalten.“
Daniel wettete, dass sich nicht nur der Säugling in das Schreien hineinsteigerte, sondern auch sein Vater.
„Plötzlich fuhr Friedrich in Porz auf das Gelände einer verlassenen Spedition. Das Tor stand offen. Das war dort, wo es auf dem Nachbargrundstück bis letzten Herbst eine Volksküche gab. Sie musste schließen. Ein Mädchen wurde vermoord . Wahrscheinlich erinnern Sie sich nicht. Sie haben ja täglich mit so was zu tun.“
Und ob Daniel sich erinnerte! Er nahm einen bitteren Geschmack auf der Zunge wahr, hatte aber nichts zu trinken griffbereit.
„Und dort geschah es dann?“, fragte er behutsam. Was auch immer ‚es‘ war.
„Der Motor ging aus. Ich wusste, dass etwas Furchtbares passieren würde. Aber ich konnte mich nicht rühren. Ich war so bang .“
Sie gab sich die Schuld an dem, was ihrem Sohn zugestoßen war, Daniel sah es ihr an. Wahrscheinlich glaubte sie, sie hätte ihn retten können, wenn sie nur nicht wie paralysiert dagesessen hätte. Aber sie hatte sich, so Daniels Vermutung, ihrem Mann immer unterworfen. Außerdem war sie selbst erschöpft gewesen, wie sie ausgesagt hatte, spindeldürr und kraftlos, nur noch ein Schatten ihrer selbst. Er konnte sich bildlich vorstellen, wie sie ausgesehen hatte. Es gab Frauen, die opferten sich auf, und Leentje gehörte dazu.
„ Razend stürmte Friedrich aus dem Auto. Er kam zur Hintertür.“ Sie verschluckte sich an ihrer eigenen Spucke und musste husten. „Riss Thijs aus der Babyschale.“
Das Kribbeln, das Daniel am Anfang des Verhörs erfasst hatte, weil die Lösung eines Falles in Sichtweite kam, war verschwunden. Kein Adrenalin, kein Triumph. Er verspürte sogar kurzzeitig den Wunsch, Leentje möge nicht weiterreden, weil die Geschichte, die sie so tapfer erzählte, die Geschichte ihrer kleinen Familie, an deren Entstehung – Daniel dachte an den Sex nach Zeitplan, um endlich schwanger zu werden – sie so hart gearbeitet hatte, kein gutes Ende nahm.
Ihr Brustkorb bebte. Tränen strömten über ihre Wangen. Ihre Stimme zitterte. „Je lauter Friedrich ihn angebrüllt hat, desto mehr schrie Thijs. Er hielt ihn so hoch wie möglich. Warum, ik weet het niet , vielleicht damit er vor Schreck aufhörte. Aber der Kleine heulte nur heftiger. Sein Plärren verfolgte mich bis in meine Albträume. Es ging mir durch Mark und Bein. Es war das Letzte, was ich jemals von ihm hörte.“
Daniel wartete angespannt. Hatte Schuster seinen Sohn fallen lassen? Hatte er ihm das Genick gebrochen oder ihn lebendig in den Rhein geworfen? Wie ein Häufchen Elend hing der Intendant in seinem Stuhl, hielt den tränenförmigen Diamanten fest und küsste ihn zwischen dem Schluchzen immer wieder. Ein gebrochener Mann, der sein Innerstes zeigte. Etwas musste an dem Tag im vergangenen August in ihm kaputtgegangen sein. So sah kein eiskalter Mörder aus. So benahm sich nur ein Täter, der bereute, der unter seiner Tat litt.
„Friedrich schüttelte ihn. Mehr nicht“, machte Leentje einen letzten Versuch, ihren Ehemann zu verteidigen. „Etwas zu heftig. Er hat das sicher nicht gemerkt, denn er war in Rage. Ich sah, wie Thijs’ Köpfchen hin und her flog, und streckte meine Arme nach ihm aus, aber de gordel hielt mich zurück. Als ich ihn Friedrich endlich entreißen und ihn an meine Brust drücken konnte, war mijn zoon still. Siehst du, sagte mein Mann, so macht man das. Aber ihm stand die Angst ins Gesicht geschrieben.“
„Thijs starb gar nicht in den Niederlanden, sondern schon in Köln?“ Ausgerechnet auf dem Gelände der insolventen Spedition, auf dem schon einmal ein junges Leben beendet
Weitere Kostenlose Bücher