Nr. 13: Thriller (German Edition)
Oberkörper wankte. Schließlich ließ sie sich auf das Kissen fallen und starrte an die Zimmerdecke.
„Scht.“ Wie bei einem Kind strich Gitte Hamacher unentwegt über das Haar ihrer Mutter. „Alles ist gut. Du bist in Sicherheit. Niemand wird dich von zu Hause wegholen. Ich beschütze dich vor den bösen Geistern.“
„Und den Perversn … Augen wie glühende Kohlen … starren uns an … tragn Ferngläserbrillen“, stammelte die alte Dame wirr.
„Meine Mama leidet an beginnender Demenz. Meistens ist sie klar im Kopf. Aber die Ausbrüche kommen immer öfter. Wir wohnen zusammen, damit ich sie rund um die Uhr pflegen kann.“ Der Gestank einer vollen Windel breitete sich im Raum aus. Gitte Hamacher drückte ihre Mutter trotzdem eng an ihren Busen. „Bitte, gehen Sie jetzt. Die Befragung hat sie zu sehr aufgeregt.“
Daniel verabschiedete sich als Erster und rollte voran durch den Korridor, zwischen den Stapeln alter Zeitungen hindurch, zum Ausgang. Meistens hatte er ein Gefühl, nach dem er sich richten konnte, was einen Fall betraf. Diesmal jedoch blieb pure Verwirrung zurück. Elisabeth Hamacher hatte so sicher in ihrer Aussage geklungen. Doch dann war ebendiese von einer Sekunde auf die andere verpufft.
Kein Gericht der Welt würde aufgrund einer dementen Zeugin einen Durchsuchungsbefehl ausstellen, kein Staatsanwalt überhaupt erst einen beantragen. Wer wusste schon, ob das, was Elisabeth Hamacher angeblich im Haus gegenüber beobachtet hatte, nicht Teil einer ihrer Horrorfantasien war? Anscheinend hatte sie sich den Mord nur eingebildet wie die Katze in der Ecke und später die bösen Dämonen. Ihre Tochter hatte sie gegen die Kinderschänder in der Nummer 13 aufgehetzt. Die Ähnlichkeiten zu dem Mikwe-Leichnam mochte Elisabeth Hamacher aus der Zeitung haben. Gitte hatte ja ausgesagt, ihr täglich daraus vorzulesen.
Vor dem Aufzug, auf den sie warten mussten, lehnte sich Leander gegen die Wand. „Unter den gegebenen Umständen dürfen wir nicht ermitteln. Im Gegenteil, wir müssten Gitte Hamacher aufgrund ihres allzu großzügigen Umgangs mit Beruhigungsmitteln eigentlich wegen Körperverletzung anzeigen.“
„Das Haus Nummer 13 ist ohnehin ein heißes Thema in der Stadt und Mord kein harmloser Vorwurf.“ Ungeduldig trommelte Daniel auf seinen Oberschenkel. Das Ruckeln des Lifts wurde lauter.
„Elisabeth Hamacher ist nur eine alte, verwirrte, gelangweilte und einsame Frau.“ Als der Fahrstuhl ankam, hielt Leander die Tür auf.
Daniel dankte ihm mit einem Kopfnicken und fuhr in die Kabine. Er war nicht verärgert darüber, dass gar kein Mord stattgefunden hatte – das war das einzig Gute an dem Besuch gewesen –, sondern darüber, dass Voigts Ablenkungsmanöver aufgegangen war. „Du wirst den Abschlussbericht übernehmen. Ich habe Besseres zu tun, als meine Zeit weiter zu verschwenden.“
Schien der Fall „Mord in der Bruchstraße“ eben noch größer zu sein als erwartet, so hatten sie nun gar keinen mehr.
8. KAPITEL
Marie fühlte sich, als säße sie in einer Nussschale auf stürmischer See und nicht in ihrem Auto. Ihr Magen rebellierte. Säure stieg ihre Speiseröhre hoch. Wenn sie aufstieß, schmeckte sie noch immer den Rotwein.
Du hättest vor dem maßlosen Trinken etwas essen und eine Grundlage schaffen sollen, schimpfte sie mit sich.
Am Morgen hatte sie an einer trockenen Scheibe Brot genagt und sie schließlich, genervt über ihre eigene Dummheit, in den Mülleimer geworfen. Das Thema Kinder hatte sie am Vortag weitaus mehr aufgewühlt, als sie erwartet hatte.
Es ging bereits auf Mittag zu, aber ihr war immer noch schwindelig. Die Atmosphäre im Hause Zucker schien elektrisch aufgeladen zu sein. Ein einzelner Funke konnte eine Explosion zur Folge haben. Zu allem Übel fuhr sie Auto, obwohl der Restalkoholgehalt in ihrem Blut noch alarmierend hoch sein musste.
Während sie die Rochusstraße entlangbrauste, wurde die Justizvollzugsanstalt im Rückspiegel immer kleiner. Je weiter sie sich entfernten, desto mehr entspannte sich Benjamin im Beifahrersitz. Schmal war er geworden. Noch dünner, als er vorher schon gewesen war. Dadurch wirkte er jünger als achtzehn Jahre.
„Warum schaust du so traurig? Freust du dich nicht, den Freiheitsentzug hinter dir zu haben?“ Sanft knuffte sie ihren Cousin.
Während seine Freunde Denis und Maik langjährige Haftstrafen absitzen mussten, war Ben mit Bewährung davongekommen. Aufgrund der Schwere des Falls hatte der Richter ihm
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