Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nr. 799 (German Edition)

Nr. 799 (German Edition)

Titel: Nr. 799 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuna Stern
Vom Netzwerk:
Ich legte den Kopf schräg. Eigentlich nicht. »Klar.« Ich log, damit er sich besser fühlte, damit er aufhörte, sich den Kopf über diese nichtssagenden Initialen zu zerbrechen, die jemand mit schwarzer Kreide an die Wand gekritzelt hatte. Denn sie hatten nichts zu bedeuten. Sie sollten uns nur verwirren. Ganz sicher. »Vielleicht ist es auch nur ein Trick«, überlegte ich. »Von denen da oben. Um uns durcheinanderzubringen.«
    Er nickte und presste die Lippen aufeinander. »Hm. Vielleicht.«
    Kimberlys Büro stand an diesem Morgen leer. Ihre Akten waren aufgeräumt, standen ordentlich eingereiht in den Regalen. Nur ihr silberner Kugelschreiber kullerte einsam über die Schreibtischplatte, so als würde er auf seine Besitzerin warten. Ungeduldig.
    »Wo bleibt ihr denn?« Eleonore S. blieb keuchend stehen. Sie drehte sich zu uns um und winkte uns herbei. »Die warten alle. Auf euch.«
    »Die?« Meine Stimme klang ängstlich. Ich schluckte.
    »Die ganze Anstalt«, erklärte sie, als wäre es völlig selbstverständlich.
    Sobald wir sie erreichten, humpelte sie wieder los. Und führte uns bis zur Aula, die ich bis dahin noch nie gesehen hatte.
    Wie eine Kirche , dachte ich im ersten Moment. Ein bemaltes Kuppeldach über unserem Kopf, längliche Buntglasfenster an den Wänden, sogar Holzsitzreihen gab es. Selbst der altbekannte Geruch nach Weihrauch und Kerzenwachs hing in der Luft. Die Aula wirkte tatsächlich wie das Hauptschiff einer überdimensionalen Kirche.
    Wir liefen an tapezierten Säulen entlang, auf den Sitzen entdeckte ich einige bekannte Gesichter aus meinen Kursen, doch sonst waren mir alle Leute fremd. Ganz vorne hockten die Kapuzenträger, also die fertig ausgebildeten Überführer.
    Ein Tuscheln ging wie eine Welle durch ihre Menge, sobald sie uns entdeckten. Ihre Blicke waren abweisend. Die Überführer zeigten mit vorgehaltener Hand auf uns, einige von ihnen lachten leise oder schüttelten die Köpfe.
    David neben mir verkrampfte sich. Er flüsterte: »Ich würde den allen mal so gerne meine Meinung ...«
    »Ich auch«, stimmte ich zu. »Doch vielleicht ...«
    »Doch vielleicht?« Er sah mich fassungslos an. »Stellst du dich etwa auf deren Seite?«
    »Nein, nein, nein«, erwiderte ich schnell. »Doch vielleicht sind sie einfach nicht wie ... wir ?« Ich versuchte meinen Gedanken genauer zu erklären, als er mich weiterhin stumm musterte: »Wenn sie nicht verstehen können, dass wir ... Unsere Gefühle? Ich weiß nicht, irgendwie scheinen sie sich ja auch nicht zu erinnern? Vielleicht stimmt etwas nicht mit ihnen. Oder vielleicht ...«
    »... stimmt etwas mit uns nicht?«, ergänzte David mich und lachte grimmig. »Nein, Hanna. Mit uns stimmt alles .«
    Und ohne dass ich ahnte, was er tun wollte, blieb er stehen und küsste mich vor den Augen der gesamten Anstalt.
    Ein erschrockener Aufschrei ging durch ihre Reihen, dann verstummten alle. Bis eine tiefe Stimme die Stille durchbrach: »Es reicht.«

KAPITEL 17

Der Anüberführer. Nummer Nullnulleins. Seine Stimme würde ich überall wiedererkennen. Sofort breitete sich Gänsehaut auf meinen Armen aus, fröstelnd drehte ich mich um. David legte seinen Arm um meine Schulter, damit ich nicht hinfiel. Mir war schwindelig.
    Er war nicht da. Er war nicht mal wirklich anwesend und dennoch besaß er solch eine Macht über uns, dass die gesamte Aula in seiner Gegenwart festfror.
    Ein Bildschirm. Ein flackernder Bildschirm stand in der Mitte, weiter vorne auf dem marmornen Altar. Darauf war er zu sehen, nur halb, eine Gesichtshälfte. Die andere Hälfte lag im Schatten. Sein linkes Auge blickte uns an. Und es war rot. Wie eine Ampel, dachte ich.
    Auf seinen schmalen Lippen lag ein Lächeln, das fast amüsiert wirkte. Er wartete ab, offenbar konnte er uns ebenfalls sehen. Auf einem Computer? Ich glaubte, eine klappernde Tastatur zu hören.
    »Es hat einen Regelverstoß gegeben, wie ich mitbekommen habe?« Er kratzte sich am Kinn und grinste. »Der wievielte ist das noch mal, Nummer Fünf?«
    Neben uns erschien der silberne Kopf unseres Ausbilders, Charles. Breitbeinig stapfte er an uns vorbei, stieß meinen Arm dabei – natürlich versehentlich – an, entschuldigte sich zischend und hastete weiter, bis er auf der Treppenstufe vor dem Altar niedersank und zum Bildschirm hoch blickte.
    »Ich denke, in der Kategorie #10 ist es bereits der siebzehnte Verstoß dieser Art.« Er räusperte sich und wies mit dem Zeigefinger in unsere Richtung. »Jedoch muss ich

Weitere Kostenlose Bücher