Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nr. 799 (German Edition)

Nr. 799 (German Edition)

Titel: Nr. 799 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuna Stern
Vom Netzwerk:
ich wieder und musterte ihn.
    Er wirkte ebenfalls nachdenklich, runzelte erst die Stirn, fuhr sich mit seinen Händen durch seine Haare, bis er mir wieder einen Blick zuwarf. Und dann lächelte er. Sein Mund verzog sich zu einem schiefen Grinsen, er hob die Hand, ließ sie wieder sinken, so als wüsste er nicht, was er nun tun sollte. Anschließend traute er sich doch, seine Hand wanderte zu mir, legte sich auf meinen Oberarm, strich über meinen Nacken. Seine Fingerkuppen waren eiskalt.
    »Wir müssen los«, flüsterte er, ohne sich von der Stelle zu rühren.
    »Na und?« Ich begann ebenfalls zu lächeln, zog ihn näher an mich heran, um ihm einen Kuss auf die Lippen zu hauchen.
    Es war nichts Besonderes und doch bedeutete es so viel, dass ich es gar nicht in Worte zu fassen vermochte. Selbst David konnte seine Überraschung nicht verbergen, seiner Kehle entschlüpfte ein verwundertes Fragezeichen , jedenfalls ließ sich dieser Laut nicht anders definieren. Mit einem Mal spannte er seinen Körper an, so dass die Adern an seinem Hals hervortraten.
    David presste mich gegen die Wand und küsste mich zurück. Nicht so zaghaft wie ich es getan hatte, nein, er war so leidenschaftlich, dass ich innerhalb weniger Sekunden das Gefühl bekam, ich würde mich auflösen, als würde ich gleichzeitig in kaltes und warmes und leuchtendes Wasser getaucht werden, ertrinken, wieder nach Luft schnappen, und durch Farben schwimmen. Es war erschreckend und aufregend.
    Ich ließ mich zurücksinken, dachte nicht mehr nach, ob es nun erlaubt oder verboten war, was wir taten. Ich ließ es einfach geschehen.
    Irgendwann hörte das Läuten auf und ich vergaß, dass es jemals angefangen hatte. Es war sowieso nicht wichtig. Nichts war wichtig in diesem Moment, außer diesem Jungen, der mich wieder anlächelte. Seine Augen schimmerten im Licht der Neonröhren, die neben meinem Bett angesprungen waren. Ich spiegelte mich in seinem Blick, sah meine Silhouette, mein verzerrtes Lächeln. Ich strahlte, dachte ich. Oder lag es nur an seinen wunderschönen Augen? Womöglich.
    Ein Klopfen.
    Es erreichte mich nicht. Auch David nicht. Wir bewegten uns nicht, blieben reglos liegen.
    Ein Klopfen. Lauter diesmal.
    Ich zuckte leicht zusammen, doch David schüttelte den Kopf. »Mach dir keine Sorgen«, wisperte er.
    Das Klopfen wurde verbissener, brachte die Tür zum Scheppern. Eine krächzende Stimme erklang dahinter, die meinen Namen rief. Die Leiterin der Abteilung. Eleonore S.
    »Wir müssen los.« Diesmal war ich es, die diese Worte aussprach.
    David schüttelte nur weiterhin den Kopf, hielt meine Hand fest, als ich aufstehen wollte. »Bleib.«
    »Ich will«, begann ich, »aber ...«
    Ich muss. Wir müssen.
    So ungern ich mich auch von ihm trennte, wir mussten weitermachen. Die Regeln befolgen. Bis wir einen Weg fanden, um wirklich zusammen sein zu können.
    Sobald ich die Tür aufriss, trat die Leiterin der Abteilung, Eleonore S. – oder auch Nummer Sechshundertzweiundzwanzig - herein. Mit ihrem Krückstock fuchtelte sie in der Luft herum, traf mich damit am Knie.
    Ich sprang zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Tut mir leid, ich habe verschlafen«, log ich. Obwohl ... war es nicht irgendwie auch die Wahrheit?
    Sie blies ihre Wangen auf und schob die Luft in ihrem Mund hin und her. Ihr Kopf sah dadurch aus wie eine faltige Kugel. Irgendwann stieß sie die Luft wieder aus und seufzte. »Ich vermute, Herr Nummer Achthundert befindet sich zurzeit in deinen Gemächern. In seinem Zimmer ist er jedenfalls nicht.«
    Ich konnte den Ärger aus ihrer Stimme heraushören.
    Stumm nickte ich, da ich mittlerweile wusste, dass sie jede meiner Bewegungen trotz ihrer Blindheit erkannte.
    Erneut seufzte sie, ließ die Schultern hängen, als wäre sie enttäuscht von mir. Oder als wäre sie machtlos?
    »Es wird eine Versammlung geben«, kündigte sie an, und ihre Stimme wurde dabei so leise, dass ich ihre nächsten Worte kaum noch verstand. »Falls ihr unbekleidet seid«, beim vorletzten Wort zuckten ihre Mundwinkel, »solltet ihr euch nun verhüllen. Ihr habt dreiunddreißig Minuten Zeit, um in der Aula zu erscheinen. Beeilt euch.« Sie lief zurück zur Tür. »Ich warte auf dem Flur. Bis ihr euch ... angezogen habt.«
    »Hä, angezogen?«, fragte ich verwirrt.
    Sie drehte sich zu mir um und runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht, Hanna.«
    »Wir sind bekleidet, wieso sollten wir ...?« Und da begriff ich endlich. Ich spürte, wie mir das Blut in den

Weitere Kostenlose Bücher