Nr. 799 (German Edition)
dass ich es nicht in Worte zu packen vermochte. Doch eine Frage beschäftigte mich: »Aber wo werden wir jetzt landen? In unserer Welt?«
David fuhr den Wagen auf die Straße, zuckte mit den Schultern. »Das werden wir bald herausfinden.«
Er raste los.
Ich blickte aus dem Fenster und sah, wie die Anstalt hinter uns immer kleiner und kleiner wurde, irgendwann nur noch wie eine vergessene Zigarettenschachtel ausschaute, bis sie hinter einer Gruppe von hohen Tannen verschwand.
Sie war weg .
Ich atmete erleichtert aus. Konnte nicht aufhören zu lächeln.
David ging es ebenso. Er blickte geradeaus, seine Gesichtszüge wirkten entspannt, er strahlte.
Da ich mir unnütz vorkam, bewegte ich mich weiter. Suchte die Handschuhfächer ab. Fand zerknitterte Kassenbelege vor. Vergilbte Lesezeichen. Eine Wasserflasche, deren Deckel zugeschraubt war.
»Möchtest du?«, bot ich David an.
Er schüttelte den Kopf, schaltete das Radio ein. Tatsächlich. Es erklang Musik. Richtige, klassische Musik – von Chopin? Wenn ich mich nicht irrte ...
Ich wippte zum Takt, öffnete den Schraubverschluss der Flasche und trank einen Schluck von dem Mineralwasser. Es war erfrischend kühl, prickelte leicht auf meiner Zunge. Endlich war mein Durst gestillt.
Ich genoss die Aussicht.
Eine leere Landstraße lag vor uns, neben uns waren weite Felder zu sehen, der Himmel über uns war immer noch grau. Ich ließ das Fenster hinunter und schnupperte.
Hm, die Luft roch himmlisch. Irgendwie süß und blumig.
»Ich bin froh, dass du bei mir bist«, hörte ich Davids Stimme.
»Ich genauso, dass du ...« Da bist . Ich lächelte, ohne ihn anzusehen, schloss einen klitzekleinen Moment lang die Augen.
Und plötzlich war da eine bleierne Müdigkeit, die meine Gelenke schwer werden ließ, die meine Augenlider zusammenklebte.
Es war vorbei.
Ich konnte – durfte! – mich zurücklehnen.
Ich rollte mich auf dem weichen Beifahrersitz zusammen. Ließ mich hinein sinken.
Nur ganz kurz ...
»Hanna«, hörte ich Davids Stimme ein letztes Mal, ehe ich endgültig einschlief, »ich verzeihe dir. Denn nach allem, was zwischen uns passiert ist ... ob nun hier oder woanders ... da werde ich nie aufhören, dich zu ...«
Er verzieh mir?
Wofür?
»Hanna?«
Ich blinzelte, öffnete die Augen wieder und sah auf.
»Ja, Dav–?«
Ich stockte, erstarrte.
Neben mir saß Bastian.
Seine schwarzen Haare wirkten verstrubbelt, in seinem Mundwinkel hing eine unangezündete Zigarette.
Draußen war es dunkel. Es stürmte. Er hatte die Scheibenwischer angestellt und aus den Radiolautsprechern drang gerade die heisere Stimme eines Rockmusikers.
Was tat ich hier? Wie war ich hierhergekommen? Träumte ich wieder?
Ich zwickte mich ins Knie, um aufzuwachen. Doch diesmal fühlte sich alles anders an. So ... so echt.
Ich sah hinaus auf die leere Straße, wir fuhren gerade an ein paar geschlossenen Geschäften vorbei, aus Bastians Mund drang der Geruch nach Alkohol bis zu mir.
Mir wurde übel.
»Hanna, ich rede mit dir. Hörst du mir zu?«
»Ja«, hauchte ich, ohne ihn anzusehen.
Was passierte hier?
»Ich möchte, dass wir zusammen abhauen. Heute Nacht. Machst du das? Für mich?« Seine Stimme klang flehentlich, doch er lallte.
»Ich möchte mich nicht mehr streiten«, erklärte er, noch immer mit einem undurchdringlichen Blick auf mich. »Bitte.«
»Schau auf die Straße«, sagte ich.
»Hanna.« Er hob die rechte Hand, um meine Wange zu streicheln.
»Schau auf die Straße«, wiederholte ich schroffer.
»Du bist ein kaltes Biest«, zischte er plötzlich. »Niemals bist du nett zu mir. Immer nur verdammt arrogant und zickig.«
Ich seufzte und nickte. »Tut mir leid«, sagte ich langsam. »Es tut mir wirklich leid, Bastian, dass ich dich immer enttäuscht habe. Doch nun schau bitte endlich auf die Straße.«
Er lachte gehässig. Ich redete mir ein, dass seine Wut nicht der Wirklichkeit entsprach, dass nur der Alkohol ihn in diesen Mistkerl verwandelte.
»Was? Fürchtest du dich etwa davor, dass ich einen Unfall baue?« Er lachte weiter und ließ absichtlich das Steuer los. »Oh, schau mal. Jetzt passiert gleich etwas«, sagte er mit übertrieben tiefer Stimme. »Oh, nein«, brummte er amüsiert.
»Bitte«, wiederholte ich.
Noch sah ich keinen Lastwagen. Vielleicht kam auch keiner. Verdammt, ich hoffte wirklich, dass keiner kam.
Ich wandte meinen Blick ab. Ich ertrug Bastians Gegenwart nicht, ich verstand nichts. Was hatte das alles zu bedeuten? Was machte
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