Nudeldicke Deern
tolle Musik machen oder Schnecken total lecker sind. Warum sollte ich dann auf dich hören, wenn du mir sagst, dass ich diese engen Hosen nicht tragen kann? Kann ich nämlich super, guck mal.
Interessanterweise wird auch das eigene Körpergefühl viel positiver, wenn man sich nicht den ganzen Tag damit beschäftigt, bei anderen Menschen Fehler zu finden. Wenn man nämlich stattdessen versucht, bei jedem Menschen etwas zu finden, was schön ist, merkt man erstens, dass man immer etwas findet. Und zweitens, wie okay man selbst eigentlich ist.
Und weil ich nach 100 Jahren Kampf gegen mich selbst auch endlich weiß, wie okay ich bin, habe ich am letzten Samstag zu einer Hochzeit etwas getragen, das ich seit meiner Konfirmation im letzten Jahrtausend nicht mehr getragen habe: ein Kleid. Ein langes, tief ausgeschnittenes, auberginenfarbiges Kleid, das gleich mehrere meiner «Problemzonen» (what the FUCKING FUCK ?) richtig schön zur Schau stellt. Erstens: meine Füße in den silbernen Sandaletten. Die habe ich seit Jahren in Strümpfen und Sneakers versteckt, weil das ja wer eklig finden könnte, so patschige Füße mit so rundlichen Zehen. Und meine Piercingnarbe im Dekolleté, die ich auch ewig verdeckt habe, weil das ja wer eklig finden könnte, so Narben. Und das Schlimmste von allen: meine Oberarme, die sich bewegen, wenn sich der Rest von mir bewegt. Sie kennen ja sicher den charmanten Ausdruck «Winkfett»? Genau. Nur mal so nebenbei: Die einzigen beiden Frauen, die ich «kenne», bei denen das Gewebe der Oberarme sich nicht einen Millimeter bewegt, wenn sich die Frau dazu bewegt, sind Gwyneth Paltrow und Madonna, und die gehen, wenn ich den Klatschmagazinen glauben darf, jeden Tag drei Stunden dafür ins Fitnessstudio. Dürfen sie gerne machen, sie sehen ja auch toll aus, aber ich persönlich lese in diesen drei Stunden lieber ein Buch oder koche leckeres Zeug. Und deswegen flattern meine Ärmchen lustig rum, wenn ich lustig rumflattere. Und weißt du was? Das ist okay. Und wenn du das nicht okay findest, dann guck einfach woanders hin.
Es hat, ehrlich gesagt, ein winziges bisschen Überwindung gekostet, mit nackten Füßen und Armen und Ausschnitt aus dem Haus zu gehen (und nebenbei musste ich erst mal ein bisschen üben, wie man nochmal im Kleid geht und sitzt und wieder aufsteht), aber ich habe mich nach nur wenigen Minuten unfassbar schweinewohl im Kleid und in meiner Haut gefühlt, dass ich es selbst kaum glauben konnte. Netterweise habe ich auch von so gut wie jedem Menschen auf der Hochzeit, den ich kannte, ein Kompliment gekriegt – wohl auch, weil alle diese Menschen mich noch nie so gesehen haben. Irgendjemand meinte, ich trüge das alles sehr souverän und als ob ich noch nie was anderes angehabt habe. Und genauso hat es sich auch angefühlt. Souverän. Und glücklich. Und es war scheißegal, dass im Waschzettel die 52 steht anstatt der gesellschaftlich akzeptablen 38. Souverän, Baby. Das machen wir gleich nochmal.
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Ich will so bleiben, wie ich bin
Ja, das ist Absicht, dass ich den Slogan von Diätlebensmitteln als Überschrift für das Kapitel «Körperakzeptanz» gewählt habe, weil ich ihn so widerlich verlogen finde wie kaum einen anderen. Diätprodukte sagen dir nämlich genau das Gegenteil: Du sollst nicht so bleiben, wie du bist, sondern dünner werden. Denn nur dünne Menschen dürfen sich so wohl fühlen, wie sie sind. Und nur dünne Menschen haben Beziehungen, tolle Jobs, viele Freunde, gehen dauernd auf Partys und amüsieren sich dort wie Bolle, gehen schwimmen, campen und shoppen und sind überhaupt den ganzen Tag lang glücklich. Und dicke Menschen nicht. Klingt völlig beknackt? Ist es auch. Und trotzdem habe ich das jahrzehntelang geglaubt.
In amerikanischen Fat-Acceptance-Weblogs habe ich den Ausdruck «the fantasy of being thin» [163] gefunden. Vielleicht kennst du das auch: Du stellst dir vor, wie sich dein Leben auf einmal zum Besseren ändert, wenn du nur diese 5, 15 oder 50 Kilo abgenommen hast. Auf einmal gehst du gerne auf Partys, weil du eben nicht mehr den ganzen Raum absuchen musst, ob noch jemand dicker als du ist, was dir die Erlaubnis gibt, dich zu amüsieren. Auf einmal unternimmst du viel mehr, bekommst bei jedem Vorstellungsgespräch eine Zusage, und natürlich wird der Mensch, in den du schon ewig verknallt bist, sich für dich entscheiden – jetzt, wo du dünn bist und damit jemand ganz anderes als vorher. Klingt
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