Nuhr, Dieter
was ich nicht brauche - was soll das dann? Wenn man arbeitslos wäre
oder obdachlos, da könnte man sich noch richtig freuen - über einen warmen
Pullover beispielsweise. Wenn meine Großmutter wieder mit einem Pullover
ankommt, 100 Prozent Acryl, und sie meint, das sei doch prima, läuft nicht ein
... Und am Ende riecht man unter dem Arm wie im Pumakäfig, und wenn man zu nah
an der Weihnachtskerze steht ... So ein Acrylpullover brennt ja nicht, der
schmilzt. Da ist man eingeschweißt und vakuumverpackt.
Nein, ich will mir dieses Jahr einmal etwas ganz anderes
wünschen: Gesundheit! Ich bin ja jetzt auch schon um die 40. Und um Ihnen das
ganze Grauen dieser Nachricht zu verdeutlichen: Ich bin so alt wie Lothar
Matthäus! In dem Alter war Jesus schon wieder im Himmel.
Gut, jetzt ist ja erst mal Weihnachten, also der Geburtstag
vom Heiland, das wichtigste Fest der Christen, denn mit seinem Tod und der
Wiederauferstehung hat Jesus die Menschen von der Erbsünde erlöst, aber mit
seiner Geburt am Weihnachtsfest hat er den Einzelhandel gerettet. Und das ist ja
gerade in dieser Zeit geringer Inlandsnachfrage viel wichtiger.
Wo war ich? Ach ja, der Wunschzettel. Ich schreibe vielleicht
erst mal auf, was ich nicht will: zum Beispiel eine elektrische
Lottokugelziehungsmaschine aus dem Quelle-Katalog. Den gibt es jetzt übrigens
auch im Internet, habe ich gesehen bei »Geschenkideen für sie und ihn« - Für
sie und ihn! Wie gemein! Was ist denn mit den anderen? Da gibt es übrigens
auch den Hexaglot-Quicktionary-Lesestift! Ein Lesestift, was soll das sein? Mit
einem Stift lesen? Ich schreibe ja auch nicht mit den Augen. Aber die haben
auch den Sanoquell-Hornhautentferner. Insofern kann ja zu Weihnachten nichts
mehr passieren. Das wird ein Fest. Halleluhja!
Nach Weihnachten 25. Dezember 2000
Wie war Weihnachten? Ist bei Ihnen richtig gesungen worden,
also nicht halblaut mit der CD mitgebrummt, sondern richtig gesungen,
lerchenartig, unter dem Baum? Bei uns war das wieder peinlich - die ganze
Familie stand vor dem Baum, und keine Sau wusste, wie die Lieder gehen. Ich bin
schon froh, wenn ich die ersten zwei Zeilen von »Oh Tannenbaum« noch
zusammenkriege. Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, oh Tannenbaum und
so weiter.
Ich finde das sehr traurig. Das ganze schöne alte deutsche
Liedgut geht verloren, Lieder wie »Jingle Beils«, »Santa Clause Is Coming To
Town« oder »Winter Wonderland«, das kennen die Kinder gar nicht mehr ...
Früher haben wir noch unter dem Weihnachtsbaum gesungen,
mein Bruder und ich mit langen fettigen Haaren; so traten wir an zur Bescherung
- es war eine schöne Zeit, und nachher hingen wir dann im Sessel, Löcher in der
Hose, Mutter aufgelöst, ob wir nicht wenigstens einmal im Jahr was Anständiges
anziehen könnten? Was wir natürlich ablehnten: Wir waren ja keine Spießer.
Heute tragen ich gerne mal einen schicken Anzug an Weihnachten, wenn er gut
geschnitten ist - und mein Vater sitzt im Jogginganzug vor der Krippe. So
ändern sich die Zeiten.
Wenn ich mal einen neuen Beruf suche, mache ich zwischen
dem 21. und dem 24. Dezember einen Sherpadienst auf, einen Tütentrageservice
für Leute, die versprochen haben, sich nichts zu schenken, und dann in den
letzten zwei Tagen vor dem Fest mit riesigen Tüten durch die Innenstädte
streifen. Da ist eine todsichere Geschäftsidee!
Meine Freundin und ich haben uns dieses Jahr auch gesagt,
dass wir uns nichts schenken. Wie jedes Jahr. »Diesmal aber wirklich!«, hat sie
gesagt. »Nichts!« Und ich Idiot habe das auch geglaubt. »Gott sei Dank!«, hab
ich gedacht. »Kein Stress mit Geschenken.« Dann kamen wir nach Hause, nachdem
wir die ganze Runde bei allen Eltern gedreht hatten ... endlich Ruhe; und dann
kam sie an mit ihrer kleinen Überraschung, nur so elf oder zwölf Paketchen, ich
war richtig gerührt - bis ich ihr sagte, für sie hätte ich, wie vereinbart,
nichts. Einen solchen Gesichtsausdruck habe ich das letzte Mal bei Charles Bronson
in »Ein Mann sieht rot« gesehen - in dieser Showdownszene, bevor er alle
niedermacht.
Wir haben dann eine Zeit lang nicht mehr miteinander
gesprochen. Ich habe ihr am 27. einen ganz tollen Ring geschenkt, und für zwei
Tage war wieder alles im Lot: Schenken soll ja Freude machen. Eheleute haben es
da besser, denn im Fall einer Scheidung würde der Ring, wenn die Eheleute in
einer Zugewinngemeinschaft leben, zwar im Besitz der Gattin bleiben, aber ganz
normal mit verrechnet bei der
Weitere Kostenlose Bücher