Nuhr, Dieter
»Wiegeschritt!« Der Standardtanz ist ein Irrweg der Evolution. Das
musste mal gesagt werden.
Ins Theater 28. Januar
2001
Gestern war ich im Theater. Es war eigentlich lustig, aber
irgendwie ... Im Grunde hatte ich mich auch auf den Abend gefreut ... Aber
wenn man dann los muss, man sitzt schön zu Hause, es wird 19:00 Uhr, und
dann guckt man auf die Eintrittskarten an der Pinwand und denkt: »Eieieiei ...
Wir müssen los! Ochnööööö ...«
Das habe ich im Physikunterricht gelernt: Das liegt an der
Trägheit der Masse. Bis man so einen Körper von mehreren zig Kilogramm mal aus
dem Sessel gehoben hat, ist im Theater normalerweise die erste Hälfte schon
vorbei.
Da haben Sie es leichter. Um das hier zu lesen, müssen Sie
gar nicht aus dem Haus. Vielleicht sind Sie sogar krank zu Hause, oder Sie
simulieren bloß, um nicht ins Theater zu müssen ...
Und man muss auch nicht für sich alleine lesen, man kann
dabei Kaffee trinken oder Freunden vorlesen oder Leuten, die einem nahestehen:
dem Partner, den Mitgefangenen, der Pflegerin ... und das ist schön, denn mal
ehrlich: Theater ist Stress. Vor allem für Männer.
Ich habe auf der Bühne immer Angst, die Menschen von etwas
Wichtigem abzuhalten, gerade auch Männer. Frauen gehen ja gerne ins Theater,
aber die Kerle ... Das ist ja statistisch erwiesen: 85 Prozent aller
Theaterbesuche werden von Frauen initiiert. Das hat seinen Grund: Es liegt
daran, dass Kultur etwas mit Sinnlichkeit zu tun hat. Nicht dass Männer etwas
gegen Sinnlichkeit hätten, aber Frauen haben halt mehrere Sinne - nicht nur
den Tastsinn. Deshalb ist Kultur für Frauen eine Supergelegenheit, mal zwei Stunden
Sinnlichkeit zu erleben, ohne dass er ständig an die falschen Stellen tatscht.
Deswegen sagen Frauen zu ihren Männern: »Ich will mal
wieder ins Theater.« Und die Männer denken: »O.K., ich will ja auch mal wieder,
aber muss denn jedes Mal vorher so ein Theater sein?« Und das lässt sich auch
auf dieses Buch hier übertragen: Wer nicht fühlen darf, muss lesen. Auch schön.
Sauna 7. Februar 2001
Ich war in einer öffentlichen Sauna und muss sagen: Ich
finde Menschen nicht per se eklig, aber in so einer Sauna ist der Mensch doch
sehr auf seine Zellmasse reduziert. Haufenweise Organisches lagert auf
vollgesogenen Holzbänken ... Bei diesem Anblick hätte Erasmus von Rotterdam
sich seinen Humanismus sonst wohin gesteckt.
Der saunende Mensch an sich wirft Fragen auf: Warum macht
er das? Viele glauben, das macht schlank, aber das ist Quatsch! Fettleibige
Menschen gehen nicht in die Sauna, um abzunehmen, sondern um nachher sagen zu
können: »Ich kann machen, was ich will, ich nehm einfach nicht ab.«
Einem Hefeteig ähnlich lagert man auf blanken Planken,
hängt rum, schlägt die Zeit tot ... Neulich vertrieb sich ein Mann auf der Bank
neben mir bei 92 Grad die Zeit, in dem er sich mit glitschigen Geräuschen den
Schweiß von Armen und Beinen rieb. Er umfasste die Extremitäten mit der Pranke
und spritzte dann mit schneller Bewegung die Körperausscheidung zu Boden. Ich
habe an diesem Tag beschlossen, eine Sauna nur noch im Taucheranzug zu
betreten.
Dabei kommt in einer Sauna ekelverschärfend hinzu, dass
ausgerechnet die hässlichsten Körperteile am offensivsten zur Schau gestellt
werden. Hornhautbewehrte Füße mit krumpeligen, schaufelartigen Fußnägeln, die
aussehen, als hätte man mit ihnen allein den Gotthardtunnel gegraben, werden
schamlos in Augenhöhe präsentiert, als wären sie die Kronjuwelen. Adern, die in
der Hitze anschwellen, lassen ganze Hautflächen wie eine Grachtenkarte der
Niederlande erscheinen.
Was kann man da tun? Meine Meinung ist: Der Mensch sollte
sich überhaupt nicht mehr entkleiden, sollte seine Fortpflanzung chemisch
durchziehen oder sich wieder auf Schönheit und Glanz der Zellteilung besinnen
und sich zur Bakterie zurückentwickeln; dann würde er auch nicht mehr schwitzen
und könnte sich auch in der Sauna fortpflanzen, ohne dass einer meckert. Und
das war doch schon was.
Telefon 15.
Februar 2001
Ich wollte heute schon früher etwas schreiben, aber
ständig hat das Telefon geklingelt! Ich glaube, ein Telefon dient gar nicht der
Kommunikation, sondern der Ruhestörung. Dieses ständige Klingeln ist
Telefonterror.
Schnurlose Telefone sind noch schlimmer. Die habe ich in
der Wohnung immer dabei, damit ich auch auf dem Klo noch drangehen kann. Früher
hatte man wenigstens auf dem Klo seine Ruhe. Aber mit dem Schnurlostelefon ist
das
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