Nuhr, Dieter
im Computer was einsammeln will, dann drücke
ich auf Start/Suchen/ Dateien-Ordner, dann gebe ich ein, was ich haben will und
verschiebe das Ganze in einen Ordner meiner Wahl. Da brechen keine Äste ab, da
packt man nicht in Vogelscheiße.
Die ganze Natur müsste neu programmiert werden, damit die
Äpfel in einer Reihe hintereinander wachsen; und wenn man sie noch nicht essen
will, drückt man auf »Speichern«, dann hat man eine 80-Kilogramm-Festplatte im
Garten, auf der die Früchte komprimiert eingelagert werden. Fertig!
Das spart auch die ganze Schlepperei, das sind Zentner! Im
nächsten Jahr säge ich ihn ab. Ich muss ihn allerdings vorher vergiften, um
keinen Ärger mit meiner Freundin und den Nachbarn zu bekommen. Ich grabe
einfach einen Tunnel und schneide ihm dann in nächtlicher Stille von unten die
Wurzeln ab. Dann gehe ich wieder ins Bett. Morgens werde ich dann, wenn ich in
den Garten komme, entsetzt aufschreien: »Mein schöner Apfelbaum! Er hat so
schön getragen ...« Er? Ich!
70er Jahre 27 November 2001
Das waren noch Zeiten! So sagt man schwärmerisch ... Was
mir dabei aufgefallen ist: Zeiten sind eigentlich grundsätzlich erst dann
schön, wenn sie vorbei sind. Und dann kommen sie wieder irgendwann ... Jetzt
sind gerade die 70er groß im Kommen, eigentlich schon seit Ende der 80er. Nur
sind es gar nicht wirklich die 70er, die da ständig ihr Revival erleben. Dafür
fehlen ein paar wirklich wichtige Accessoires, die zu den 70ern einfach
dazugehörten, beispielsweise schlechter Sex. Klar - wenn man noch bei Vater und
Mutter wohnt und immer nur darf, wenn die Eltern kegeln gehen.
Oder im Urlaub - mit undichtem Zelt im Regen. Damals habe
ich mit meiner Freundin kein Hotelzimmer bekommen, weil wir unverheiratet
waren. Da gab es nämlich noch Spießer. Heute glaubt ja jeder
Finanzamtspförtner, er müsse ein wildes Leben führen. Geht nach der Arbeit ins
Fitnessstudio und glaubt, er sei Tarzan. Hierzulande denken ja viele, sie
würden ein wildes Leben führen, wenn sie den obersten Hemdknopf offen lassen.
Das gab's in den 70ern nicht. Da gab es noch gar keine Fitnessstudios.
Man hatte fettige Haare, schwabbelige Haut und braune Zähne - und trotzdem
konnte man bei den Frauen landen. Wenn man die Frauen mit Kenntnissen in
Marxismus-Leninismus überraschen konnte. Wenn man sie ideologisch-argumentativ
in die Ecke treiben konnte, und zwar in die, wo die Sperrmüllmatratze lag. Wenn
man ihnen erfolgreich erklärt hatte, dass die Befreiung vom Joch des
Imperialismus gerade auch das Private mit einschließen müsse und gerade der
unterdrückte Körper im Spätkapitalismus ... - und schon lagen sie da. Ach, das
waren noch Zeiten ...
Was damals auch noch etwas galt, war ein ökologischer Lebensstil.
Ich hatte zum Beispiel einen VW-Käfer, der locker 14 Liter verbleit schluckte,
aber einen Aufkleber »Atomkraft, nein Danke« trug. Ich denke, das Waldsterben
im Schwarzwald habe ich damals maßgeblich mitgestaltet. Und trotzdem waren wir
Ökologen. Das ging damals, weil der Selbstbetrug groß in Mode war. Wir waren ja
auch alle Pazifisten, damals, aber beim Terrorismus, da gab es auch schon mal
klammheimliche Freude. Weil Hirnspaltung damals noch nicht als Krankheit
angesehen wurde, sondern als Dialektik durchging.
Das waren die 70er. Ehrlich gesagt, bin ich froh, dass
sich das 70er-Revival auf Schlaghosen beschränkt. Wenn sich auch noch unser
dummdödeliges Geschwätz von damals wiederholen würde, müsste ich nämlich
auswandern. So einen Schwachsinn hältst du im Leben nur einmal aus.
Tektonik 3. Dezember 2001
Nie ist Ruhe. Das fängt draußen bei der Erde an. Ständig
diese Dreherei. 24 Stunden am Tag dreht sich die Erde um die eigene Achse.
Kein Wunder, dass alles durcheinander kommt. Das Klima zum Beispiel. Vor 8000
Jahren war das Mittelmeer 140 Meter flacher. Dann ist das Wetter umgeschlagen,
übrigens ganz ohne Industriegesellschaft, das geht auch so. Das Wetter wechselt
eigentlich ständig. So ist ja die ganze Evolution überhaupt erst entstanden -
und plötzlich lag der Quastenflosser auf dem Trockenen und dachte: »Mensch,
wenn ich jetzt statt Kiemen Lungen hätte.« Hatte er aber nicht. Weg war er.
Das passiert heute auch: Wenn die Erde wärmer wird, sagt
sich das Pinguinweibchen: »Ne also, bei dem Wetter, heute nicht, ich habe
solche Migräne!« Dann steht der Pinguin da, die arme Sau, und das war es dann mit
der Fortpflanzung ... ruckzuck stirbt der Pinguin aus, und sein
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