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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Flüssigkeit zwischen die Zehen spritzen konnte. Sein Geschlecht lag schlaff in einem Nest aus sanft gelocktem Schamhaar, als schliefe es dort. »Siehst gut aus, Ella«, sagte er mit einem strahlenden Lächeln. »Freu mich auf die Zusammenarbeit.«
    »Cinéma vérité«, sagte Ella und nickte zu dem Mann mit der Kamera hinüber. »Ist das Fontane da?«
    »Ja, das ist er. Großer Mann. Der Stanley Kubrick des Porno!«
    Und der Stanley Kubrick of Porn, ohne seine Kamera nur ein großer, freundlicher Junge, erlöste Ella, sobald er die Szene im Kasten hatte. Während die Schauspieler sich für die nächste Nummer vorbereiteten, nahm er Ella in Augenschein, mit vagem Bedauern, wie ihr schien.
    »Sie nennt sich jetzt nicht mehr Candy Carbonara«, sagte er. »Tori ist raus aus dem Geschäft.« Er streifte seine Armbanduhr mit einem Seitenblick. »Aber du hast Glück, sie hat gesagt, dass sie nachher noch vorbeikommt. Wir machen eine kleine Wrap-Party. Die nächste Szene ist die letzte. Eigentlich müsste sie schon hier sein. Willst du warten und noch ein bisschen zusehen?«
    »Ich warte draußen«, sagte Ella. »Danke.« Sie stieg wieder in den Drahtkäfig, der sie scheppernd nach unten brachte. Als sie in den frühen Abend hinaustrat, wunderte sie sich ein paar Sekunden lang, dass hier draußen alles beim Alten war. Die Möwen waren noch da und schrien, und der Wind war noch da und fuhr ihr kalt unter die Kleidung, und Wagenbach war immer noch tot und Annika immer noch verschwunden.
    Was mache ich hier, dachte Ella; was kann ich denn schon tun, allein in London?
    Der Himmel bezog sich rot wie von einer Feuersbrunst in den Straßen. Hinter der Tower Bridge blitzten die Fenster der Türme und Hochhäuser, die über die Dächer des Finanzdistrikts hinausragten, im Widerschein der vom Ufer aus unsichtbaren Sonne. Der Fluss war schiefergrau geworden, nur unter den Brücken warf das Licht der frühen Laternen tanzende Reflexe auf die Wellen. Von fern drangen Hupen und Sirenen über das Wasser.
    Eins der schwarzen Londoner Taxis mit gelben Scheinwerfern bog von der Uferstraße auf das Dockgelände. Es hielt ein paar Meter von Ella entfernt, und eine junge Frau stieg aus. Die Frau hatte blonde Haare, die glatt und glänzend bis auf die Schultern fielen, keine It-Girl-Frisur, und sie hatte auch kein It-Girl-Gesicht. Ohne die Glitzerschminke sah sie zart aus, fast unschuldig, mit großen braunen Augen, einer kleinen Nase und schmalen, ganz und gar nicht lasziven Lippen. Sie trug rote Pumps, schwarze Leggins und einen dunkelgrauen Leder-Blouson. Von der linken Schulter baumelte eine ausgebeulte Umhängetasche, in der sie jetzt ein Handy und ihre Geldbörse verstaute. Dann beugte sie sich noch einmal in den Fond des Wagens und holte einen bunt verpackten Pappkarton heraus, der wie eine Hutschachtel aussah. Mit der Hüfte drückte sie die Tür zu. Das Taxi fuhr los, und sie marschierte mit energischen Schritten auf den Halleneingang zu.
    Ella rief: »Tori?« Die junge Frau blieb stehen und blickte zu ihr herüber, aufgeschreckt, misstrauisch. Ein plötzlicher Windstoß fuhr ihr ins Haar, das für einen Moment ihr ganzes Gesicht verdeckte.
    »Haben Sie eine Sekunde Zeit?«, fragte Ella. Vorsichtig, um sie nicht zu verscheuchen, ging sie auf die junge Frau zu. »Ich würde gern mit Ihnen sprechen, nur ganz kurz.«
    »Worüber?«
    »Ich bin eine Freundin von Annika – Annika Jansen.«
    »Annika?«
    »Ja. Mein Name ist Ella. Wir haben zusammen studiert, Annika und ich, in Deutschland. Ich bin nach London gekommen, weil ich seit einiger Zeit nichts mehr von ihr gehört habe. Sie sind doch eine Patientin von ihr? Von Doktor Jansen?«
    »Freundin«, verbesserte die junge Frau sie. »Ich bin auch eine Freundin von Anni.« Sie zuckte mit den Schultern, ein Lächeln, das nur aus Muskeln bestand. »Okay, Patientin und Freundin.« Von Nahem sah Ella, dass ihre Augen müde wirkten, als wäre sie seelisch erschöpft; als hätte sie innerlich zu lange gegen etwas angekämpft, gegen das man nicht gewinnen konnte. »Ich habe von Ihnen gehört. Ella, ja. Sie hat oft von Ihnen erzählt. Aus Berlin, oder? Aber woher … woher wissen Sie, dass ich bei ihr in Behandlung war?«
    »Ich war in ihrer Praxis«, erklärte Ella. »Ich habe Ihren Anruf gehört, auf dem Anrufbeantworter, wo Sie von dem Mann berichten, den Sie wiedergetroffen haben …«
    »Dann ist sie wieder da?!« Toris Gesicht leuchtete auf, die Augen strahlten, ganz kurz nur. »Sie ist wieder

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