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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Anruf alles Erforderliche in die Wege geleitet«, sagte der Pfleger fast ehrfürchtig, während er einen Blick auf das Krankenblatt warf. »Radiologie, Anästhesie und alle sonst noch infrage kommenden Abteilungen stehen Gewehr bei Fuß. Sobald wir mit der Primärdiagnostik durch sind, kann sofort das CT gemacht werden. Aber wie haben Sie das nur geschafft? Ich meine … Julian Auster, der Oberguru persönlich!«
    »Ich habe was gut bei ihm«, sagte Ella. Ein zweiter Pfleger half ihnen, die Trage zu den automatischen Türen zu bugsieren, hinter denen der Schockraum lag.
    »Die Familie der Patientin ist schon unterwegs hierher«, fuhr der erste Pfleger mit veränderter Stimme fort. »Machen Sie sich auf einiges gefasst.«
    »Wieso?«, fragte Ella. Sie behielt auch jetzt noch Shirins Gesicht und die Apparate im Auge, während sie neben der Trage herlief. »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Ich will gar nichts sagen.« Er tat, als studiere er noch einmal das Krankenblatt an der Trage. »Behaupten Sie etwa, Sie haben noch nie von der Familie Abou-Khan gehört?«
    »Nein.«
    »Und der Name des Vaters, Halil Abou-Khan, sagt Ihnen auch nichts?«
    »Sollte er?«
    »Warten Sie’s ab, bis Sie ihn kennengelernt haben«, sagte er an der Tür zur Röntgenstation. »Vorsichtshalber informiere ich schon mal den Sicherheitsdienst. Warum konnten Sie die Kleine nicht nach Neukölln bringen lassen wie die anderen Verletzten?«
    »Ich wollte, dass Dr. Auster sie operiert.«
    Die Pfleger schoben Shirin auf den Korridor der Radiologie, und Ella zwängte sich mit durch die Tür. »Ich bleibe noch etwas bei ihr.« Gerade als die Tür sich schloss, hörte sie auf dem Gang vor der Rettungsstelle Geschrei. »Da sind sie schon«, sagte der erste Pfleger. »Wenn man vom Teufel spricht … Vielleicht wollen Sie mal einen Blick auf die Verwandtschaft Ihrer Patientin werfen, Frau Doktor? Ich piepe Sie an, sobald wir die Kleine nach oben in die Neurochirurgie weiterreichen.«
    Ella sah den Pflegern nach, wie sie das Mädchen den langen, leeren Gang entlangrollten, dann trat sie hinaus in den Bereich vor der Notaufnahme. Eine Gruppe arabisch aussehender Männer und Frauen hatte sich am Fuß der breiten Treppe zum Empfangsbereich eingefunden und drängte jetzt durch den Eingang der Notaufnahme, wo sich ihnen ein Pfleger entgegenstellte. Die Frauen trugen dunkle Kleider und Schleier oder Kopftuch. Die Männer hatten Jeans und Lederjacken an, bis auf zwei Jungen in weißen, mit roten Streifen verzierten Trainingsanzügen und den Ältesten, der alle anderen um gut einen Kopf überragte.
    Der große, ältere Mann trug ein taubenblaues Hemd, eine rostfarbene Hose und ausgetretene braune Schnürschuhe. Um den kräftigen Hals hatte er ein nachlässig geknotetes Tuch geschlungen, vom selben verwaschenen Kastanienton wie die abgewetzte Lederweste, zwischen deren Taschen sich eine goldene Uhrkette über den ausladenden Bauch spannte. Im Gehen stützte er sich auf einen Spazierstock mit einer ziselierten Silberkugel als Knauf.
    Der Mann und seine Familie erfüllten den Warteraum und die Gänge bis in den letzten Winkel mit ihrer Anwesenheit, die sich wie ein Geruch ausbreitete, ein herrischer Geruch, nach starkem Tabak, scharf gewürztem Fleisch und einer unbestimmten, quecksilbrigen Aura von Gewaltbereitschaft. Obwohl es gar kein wirklicher Geruch war, konnte Ella ihn doch riechen; er schlug ihr wie die wabernde Hitzewolke über einer frisch geteerten Straße entgegen. Plötzlich ahnte sie, was der Pfleger gemeint haben mochte. Die Familie war kaum eine Minute da, und schon trat alles andere in den Hintergrund, die anderen Patienten, die auf den Stühlen neben der Treppe wartenden Angehörigen, die Pfleger und Reinigungskräfte.
    »Sind Sie die Angehörigen von Shirin?«, fragte Ella.
    »Ich bin Halil Abou-Khan«, sagte der große Mann, und als er sie ansah, war in seinem Gesicht keine Freundlichkeit, keine Sorge oder Angst, nichts, was Angehörige eines Patienten sonst erkennen ließen. Stattdessen spürte sie, wie er sie seine Stärke fühlen lassen wollte, mit dem kalten, durchdringenden Blick eines Herrschers, der selbst dann jeden Winkel in seiner Umgebung überwachte, wenn er sich nicht bewegte.
    »Sie sind der Vater von Shirin?«
    »Ist das ihr Blut?«, fragte der große Mann und starrte auf die roten Flecke an Ellas Jackenärmel. »Ist das Blut von meiner Tochter da?«
    Er hatte graues, öliges Haar und ein hartes, dunkles Gesicht mit tiefen Falten und

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