Nukleus
offen, ebenso wie die matt glänzenden Augen, in denen rötliche Reflexio nen der Stand-by-Lämpchen den Eindruck erweckten, man könnte sie mit einem unsichtbaren Anschalter wieder zum Leben erwecken.
Ella trat rasch an das Bett, um Toris Puls zu fühlen. Aber es gab keinen. Ein schwacher Uringeruch hing in der Luft, und es war dieser Geruch, der Ella plötzlich zittern ließ vor hilfloser Wut. Schweine! Tränen schossen ihr in die Augen. Mörderschweine, Scheißkerle!
In diesem Moment hörte sie ein leises, halb unterdrücktes Husten. Ihr Rücken schien sich zusammenzuziehen, als wäre ihr ein kalter Windstoß über den Nacken gestrichen. Einer ist noch da. Sie richtete sich auf, langsam, als könnte eine zu hastige Bewegung dazu führen, dass er sich von hinten auf sie stürzte. Einer ist noch da, und er weiß, dass du auch noch da bist. Sie drehte sich um, rechnete damit, dass er im Türrahmen stand. Aber da war niemand.
Wo war er? Im Bad? In der Küche? Sie rührte sich nicht. Er wartete ab. Er wartete ab, bis sie sich zeigte. Er konnte abwarten, denn er war nicht allein; die anderen würden zurückkommen. Er konnte sie anrufen. Seine Finger konnten im Dunkeln über die Handytasten klicken, kaum hörbar. Du musst weg sein, bevor sie zurückkommen.
Der Weg zur Wohnungstür lag in völliger Finsternis; er wirkte wie ein endloser Tunnel. Ella musste an drei Türen vorbei, Bad, Küche, Schlaf zimmer. Nein, nur an zweien, die dritte führte zum Fenster, da musste sie durch, durch die Tür, durch das dunkle Zimmer, durch das schon offene Fenster zur Feuertreppe. Sie verließ das Studio, beide Hände vorgestreckt, um einen Angriff aus dem Dunkeln abwehren zu können.
Als das Knacken erklang, stockte ihr der Atem. Sie blieb stehen. Sie brauchte einige Sekunden, bis sie begriff. Er ist in der Küche! Die Spa ghetti – er ist auf die Spaghetti getreten! Und er weiß, dass ich ihn gehört habe. Sie rannte los, strich mit der rechten Hand an der Wand entlang, verließ sich auf ihr Gefühl. Es waren nur ein paar Schritte bis zum Schlafzimmer, die einzige Tür rechts.
Sie sah den Mann nicht kommen, keinen Schatten. Sie rannte in ihn hinein, und seine Faust schlug ihr gegen die Brust wie ein schwerer Hammer. Der Schlag lähmte ihre Atmung, brannte auf ihrem Zwerchfell und flackerte hinter ihren Augen. Etwas schoss ihr heiß die Kehle hoch. Sie wurde gegen die Wand geschleudert, ein Knie traf sie in den Unterleib. Sie krümmte sich und wollte schreien vor Schmerz, aber sie bekam keine Luft. Ein röchelndes Gurgeln steckte in ihrem Kehlkopf fest, sosehr sie auch schluckte.
Der Mann schlug wieder nach ihr, schlug nach dem Geräusch, traf aber nur ihre Schulter. Sie stolperte, taumelte gegen ihn. Sein nächster Schlag verfehlte sie, streifte sie wieder nur an der Schulter. Er versuchte, sie zu packen. Sie tauchte unter ihm weg und flüchtete in die Küche. Sie rutschte auf den Nudeln aus, und im nächsten Moment war er hinter ihr, erwischte ihr Haar und zerrte daran, riss ihren Kopf nach hinten. Es fühlte sich an, als würde sie skalpiert. Er hielt ihren Kopf mit einer Hand, ihr Nacken berührte seine Schulter. Seine Wange war dicht neben ihrem Ohr. Sie würgte eine ätzende Flüssigkeit herunter. Er stieß mit den Knöcheln der anderen Hand nach ihrer Kehle, und der Stoß zerschmetterte ihr fast den Kehlkopf.
Ihre Arme ruderten in der Dunkelheit, stießen gegen die Spüle, während sie fast erstickte, die Spüle, das dreckige Geschirr!, und sie tastete herum und berührte etwas Hartes, einen Griff, den Griff einer Pfanne. Sie packte ihn, und die Pfanne war schwer, aber sie schaffte es, holte aus und hieb sie mit aller Kraft gegen den Kopf neben ihrer Wange. Der Mann schrie auf, Fettspritzer und Wassertropfen sprühten ihr ins Gesicht. Die Faust in ihren Haaren lockerte sich, sodass sie sich losreißen konnte. Sie spürte nichts mehr, keinen Schmerz.
Sie torkelte gegen den Tisch, erwischte die Teekanne, fuhr herum und schleuderte sie hinter sich. Der Mann ging in Deckung. Ella stieß den Klappstuhl in seine Richtung, nutzte den Moment und sprang an ihm vorbei, zurück auf den Gang.
Er schaffte es, ihr ein Bein zu stellen. Sie verlor das Gleichgewicht und prallte gegen die Wand. Er war jetzt ganz nah, sie konnte ihn rie chen, seinen nassen Mantel, sein billiges Eau de Toilette, sogar die Nikotinablagerungen auf seinen Händen, als sie sich um ihre Kehle schlossen und zudrückten. Mit seinem ganzen Gewicht presste er sie
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