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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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zwischen zwei Bussen durch, war aber noch ein Stück entfernt. »Fahren Sie schon!«, rief Ella.
    Der Fahrer, ein kleiner, dunkelhäutiger Mann mit einem gelben Turban, wandte ihr den Kopf zu. »Und wohin?«
    »Piccadilly Circus.«
    »Der ist gleich da vorn«, sagte der Fahrer, ohne auf das Hupkonzert hinter sich zu achten, »hinter Fußgängerzone. Drei Minuten von Leicester Square zu Circus.«
    Ella behielt ihren Verfolger im Auge, der in der Mitte der Straße auf das Taxi zulief. »Fahren Sie, wohin Sie wollen, aber fahren Sie los!«
    Der Fahrer zuckte mit den Schultern, blickte in den Rückspiegel, dann in den Außenspiegel und fädelte sich wieder in den Strom der Fahrzeuge ein. »Ich bringe Sie Picadilly Circus«, verkündete er, »muss aber Umweg fahren, oben rum, viele Einbahnstraßen. Sie sind nicht von hier, klare Sache, ja? Ich erkläre Ihnen Sehenswürdigkeiten. Wir haben viel Zeit, denn überall gibt Stau wegen Queen. Wenn nicht wegen Queen, dann wegen Prinz oder Prinzessin. Mein Name Hakimullah. Mister Hakimullah aus Pakistan. Der Mann ist Ehemann? Sollen wir rufen Polizei?«
    »Nein. Keine Polizei.«
    »Wie Sie wünschen.« Mister Hakimullah nickte höflich. Das Taxi fuhr die Charing Cross hinauf, und der Fahrer erklärte ihr, was sie nicht sahen: »Links hinter uns, jetzt unsichtbar: London Trocadero, viele Stockwerke mit Spaß und Entertainment, gut für Einkaufen und gut für Essen und voll mit Videospielen. Wenn Sie wollen in Shows oder Theater, können Tickets kaufen Rolling Stones, Billy Elliot , Elton John, Shakespeare, Sinfoniekonzert …«
    Er unterbrach sich. »Mann hinter uns auf Fahrbahn kommt näher, telefoniert die ganze Zeit mit Handy, sehr gefährlich auf Straße. Ist Blut in sein Gesicht?« Er betätigte die Lichthupe, blinkte und versuchte, den Wagen vor ihm zu überholen, aber der Verkehr war zu dicht. »Wir verriegeln Tür.«
    Ella hatte den Blick nicht vom Rückfenster gelassen, hinter dem ihr Verfolger in einen raschen Trab gefallen war. Er kam nicht näher, blieb aber auch nicht wirklich zurück, seine Mantelschöße flatterten.
    »Da vorn kommt Shaftesbury Road, führt zu Piccadilly Circus, aber nicht ganz, wegen Einbahnstraße«, sagte der Fahrer. »Sollen wir weiterfahren?«
    »Ja, bitte!«
    »Links, weit hinter uns, geht runter zum Haymarket und Trafalgar Square, super «, sagte Ellas fröhlicher pakistanischer Touristenführer auf seiner Sitzdecke aus farbigen Holzperlen, während er langsamer wurde, weil sie jetzt in den nächsten Stau gerieten: ein Doppeldecker bus vor ihnen, einer auf der Gegenfahrbahn neben ihnen, umgeben von kleinen schwarzen Taxis wie von Pilotfischen. »Da vor uns – können wir gleich sehen, wenn Bus weg ist – sehr viele Theater, alles Musical, super. Und später auf Circus, wenn nicht ganz hinkommen, berühmter Brunnen, heißt Erosbrunnen. Aber oben auf Säule ist nicht Eros, ist christlicher Engel der Nächstenliebe, super.«
    Mister Hakimullah beugte sich vor, dicht an die Scheibe, um selbst mehr sehen zu können von den dicht neben der Straße in den Himmel ragenden Gebäuden mit ihren viktorianischen Fassaden, vor denen gusseiserne Laternen auf die nächste Pferdekutsche zu warten schienen. Nur aus den Augenwinkeln nahm Ella die Leuchtschrift auf den Theatermarkisen wahr.
    »Wenn Sie wollen Karten für Shows, Mister Hakimullah kann bes orgen, auch nachts. Oder wenn was anderes wollen, Mister Hakimullah kann auch besorgen, in London er kann alles besorgen.« Bunte Lichtreflexe huschten über sein braunes Gesicht wie ein buntes Wetterleuchten. »Mister Hakimullah kann alles besorgen, Tag und Nacht«, präzisierte er.
    Der Mann mit dem Pflaster war jetzt fast so nah, dass er die Karosserie des Austin mit der ausgestreckten Hand berühren konnte. Er hielt das Handy nicht mehr ans Ohr, sondern in der rechten Faust, und er rannte wie ein Marathonläufer, mit verzerrten Lippen und weit aufgerissenen Augen durch den Regen.
    Ella sah nach vorn, wo der Picadilly Circus lag, viel kleiner, als sie gedacht hatte, und beleuchtet von flimmernden Werbeflächen – Tausende und Abertausende Watt von Elektrizität und kalt glühendes Neon. Auf den Stufen vor dem Brunnen in der Mitte der Fußgängerzone lagerten junge Touristen, zwischen deren Kameras und Handys Blitze hin und her flogen wie Glühwürmchen auf Speed. Auf hohen Podesten trotzten lebende Skulpturen mit silberner oder goldener Ganzkörperbemalung dem Nieselregen. Ein grüngelber Rettungswagen

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