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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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gegen die Wand. Verzweifelt versuchte sie, den Griff seiner Hände zu lockern, ihre Halsmuskeln anzuspannen. Ihre Lungen zogen sich zusammen, und ihr wurde heiß, die Hitze stieg aus der Brust in den Kopf. Vor ihren Augen tanzten flimmernde Feuerringe. Ein Winseln entrang sich ihrer Kehle. Sie riss das Knie hoch, aber er war vorbereitet, blockte ihren Stoß mit dem Oberschenkel ab.
    Ich sterbe. Ich kriege keine Luft mehr. Ich sterbe hier.
    Sie versuchte, seine Finger zu trennen, den kleinen Finger zu fassen zu kriegen, um ihn nach hinten zu biegen, damit er seinen Griff lockerte, bloß dass es Finger aus Stahl waren, eine stählerne Klammer um ihren Hals, und er setzte sein ganzes Gewicht ein, lehnte sich gegen sie, eine kompakte Gestalt, größer als sie, sein Gesicht dicht vor ihrem Gesicht, seine Leisten an ihrem Bauch. Vor ihren Augen ver brannten Farben mit schwarzen Rändern. Sie trat nach seinem Schien bein. Sein Kopf lag an ihrer Wange, sie konnte ihn keuchen hören. Sein Ohr berührte ihre Lippen.
    Denk an Kornack. Kornack und Hagen!
    Sie biss zu. Er schrie. Der Griff um ihren Hals lockerte sich. Sie biss, so fest sie konnte, und eine warme Flüssigkeit rann ihr über das Kinn, sie biss und zerrte und riss, und jetzt schrie er aus vollem Hals, und als ihre Zähne aufeinanderstießen, ließ er sie los und wich heulend zurück.
    Sie spuckte aus, hustete, verschluckte sich an der Luft, die ihr in den Mund und die Kehle hinunterschoss. Einige Sekunden drehte sich alles um sie her. Ihre Knie zitterten, als sie sich zusammenkrümmte und beinahe an der Wand runtergerutscht wäre.
    Nicht in die Knie gehen, nicht übergeben, rennen, du musst rennen!
    Sie stürzte um die Ecke ins Schlafzimmer, zum offenen Fenster, vorbei an dem Beistelltisch und über die ausgezogene Couch. Sie schnappte sich ihre Umhängetasche, fuhr mit einem Arm und dem Kopf durch den Trageriemen, schwang sich aufs Fensterbrett und kletterte nach draußen. Sie knallte mit dem Hinterkopf gegen den Rahmen, fand aber Halt auf der Eisentreppe, erst mit einem Fuß, dann mit beiden. Sie packte das Geländer, es war kalt und glitschig. Mit dem rechten Fuß tastete sie in der Dunkelheit nach der ersten Sprosse unter ihr, fand sie, und sie war schon immer gut auf Leitern gewesen, ein guter Kletterer, auch bei Nacht.
    Über ihr rief der Mann etwas aus dem Fenster, das sie nicht verstand. Er versuchte nicht, ihr zu folgen, und sie dachte, gleich ruft er die anderen mit dem Handy, aber sie war auch gut in Hinterhöfen, und Mauern stellten kein Hindernis für sie dar. Ihr Hals schmerzte, und ihre Brust tat weh, aber es schien nichts gebrochen oder gerissen zu sein. Der Nieselregen fiel kühl auf ihren Nacken. Sie erreichte das nächste Stockwerk. Sah kein Licht in den Fenstern. Die Verankerung der Treppe im Mauerwerk knirschte. Ihre Tritte auf den Sprossen hallten in der Nacht. Jetzt konnte sie den Hof erkennen: die Umrisse von Bauschuttcontainern, die Hintertüren der Häuser, Autos und ein paar Fahrräder in einem Ständer unter einem Wellblechdach. Von den Männern war nichts zu sehen. Die letzten Sprossen übersprang sie und landete hart auf Beton.
    Als sie zurückblickte, war das Fenster des Schlafzimmers geschlossen und dunkel wie alle anderen auf der Rückseite des Hauses, in dem Tori Farrow vielleicht gerade in eine Badewanne gelegt wurde, um Selbstmord zu begehen.

3 9
    Sie entdeckte den Mann mit dem blutigen Pflaster auf der rechten Wange im selben Moment, in dem er sie entdeckte. Es war nur eine winzige Veränderung in seiner Haltung, seinem Blick, die ihr sagte, dass er sie erkannt hatte. Er hatte eine Platzwunde an der Stirn, die nicht mehr blutete, und im Gehen betupfte er mit einem Taschentuch die Wange unter dem Pflaster. Er trug einen grauen Burberry ohne Gürtel über einem dunkelgrauen Anzug, aber keinen Hut und keinen Schal. Er ging auf der anderen Seite der Long Acre Street in Richtung Piccadilly Circus, und jetzt, wo er sie gesehen hatte, hielt er nach einer Lücke im Verkehr Ausschau, während er hektisch in sein Handy sprach.
    Ella rannte los. Sie wissen, wie du aussiehst. Sie hatte die Strecke bis zur U-Bahn-Station Covent Garden und weiter zum Leicester Square zurückgelegt, ohne verfolgt zu werden, und sie hatte schon gehofft, sie hätte es geschafft. Sie wissen nicht, wie du aussiehst, hatte sie gedacht, es war dunkel, sie haben dich nicht gesehen.
    Im Hinterhof hatte sie erst gezögert, sich zu orientieren versucht. Von den vier

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