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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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wischte das Blut mit dem Handrücken weg, blinzelte und lief weiter, auf eine Stelle am anderen Ende des Hofs zu, wo eine kaum sichtbare Helligkeit in der Luft zu schweben schien.
    Vor ihr führte eine düstere Passage zwischen zwei eng stehende Rückgebäude. Die Passage war erfüllt von fauligem Abfallgestank und Küchendünsten, die heiß aus den offenen Hinterfenstern der beiden Gebäude wallten. Ella versuchte, sich zu orientieren. Sie hörte Männerstimmen, die sich auf Chinesisch anschrien. In der Luft über ihrem Kopf hing ein dumpfes Dröhnen. Als sie hochsah, entdeckte sie dicht nebeneinander die riesigen Generatoren altmodischer Klimaanlagen, die am Mauerwerk klebten wie unheimliche schwarze Parasiten. Die rotierenden Ventilatoren ratterten und brummten, während sie heiße, nach ranzigem Fett und Bratendunst stinkende Luft in den Durchgang bliesen. Ihr Lärm übertönte jedes andere Geräusch, nur die keifenden chinesischen Stimmen nicht.
    Ella tastete sich an einer der Mauern entlang, vorsichtig, mit zögernden Schritten. Sie griff in die Jackentasche, holte ihr Handy hervor und schaltete die Taschenlampenfunktion ein. Der bläuliche Schein des Displays fiel auf geplatzte Müllsäcke mit Essensresten, rostzernarbte Container, eiserne Lieferklappen und Urinflecke an den Mauersockeln. Kleine schwarze Schatten huschten zwischen schillernden Pfützen auf dem rissigen Beton durch den Müll. Langsam ging Ella weiter. An einer Stelle, die besonders dunkel war, verharrte sie.
    Sie sind da. Ich weiß nicht, wie sie es geschafft haben, aber sie sind da.
    Sie drehte sich um, hielt ihr Handy hoch. Der Mann in dem durchsichtigen Regencape erschien hinter ihr in der Passage. Langsam kam er näher, und dabei glänzte das nasse Kunststoffcape. Auf halber Strecke blieb er stehen, reglos. Er schien zu warten.
    Als Ella wieder nach vorn sah, bemerkte sie an der Mündung der Passage zwei weitere Gestalten, die sich wie Schattenrisse vor dem hellen Hintergrund der Straße abzeichneten. Sie fühlte eine jähe Mutlosigkeit in sich aufsteigen. Bitte nicht, dachte sie, nicht hier, nicht so, nicht so sinnlos. Gedankenfetzen schossen ihr durch den Kopf, Erinnerungen jagten vorbei wie flackernde Filmbilder.
    Sie spürte, wie kalt es in dem Durchgang geworden war. Sie zitterte vor Kälte. Ihr Atem zeichnete kleine Wolken in die Luft. Sie drehte sich um und sah, dass der Mann mit dem Regencape sich noch immer nicht geregt hatte, mit halb geschlossenen Augen stand er in den Wolken von Küchendunst aus den lärmenden Ventilatoren.
    Die beiden Gestalten am anderen Ende des Durchgangs setzten sich langsam in Bewegung. Im Gehen hob einer der Männer die Hand, und wieder konnte Ella nichts hören, keinen Knall, kein Plop! Etwas traf sie am Kopf, streifte die rechte Augenbraue, und sie kniff die Lider zusammen. Ein stechender Schmerz flammte hinter ihrer Stirn auf. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie alles seltsam grobkörnig, farblich verblichen, wie auf einer sehr oft abgespielten Videokassette, eine Kassette von einer Frau, der sich schwankend ein Mann mit einer Pistole in der Hand näherte, und die Frau war sie selbst, und der Mann hatte ein Pflaster auf der Wange.
    In dem Augenblick, in dem er zum zweiten Mal aus größerer Nähe abdrücken wollte, röhrte an der Mündung der Passage ein Motorrad auf. Eine Sirene jaulte, schwoll an und ab, und eine schwere Polizeimaschine raste mit zornig blitzendem Blaulicht und aufgeblendetem Scheinwerfer von der Straße auf Ella und die beiden Männer zu. Plötzlich war alles in das flackernde blaue Wetterleuchten getaucht. Das Fernlicht blendete Ella, sie hob eine Hand vor die Augen. Nur undeutlich kriegte sie mit, wie die beiden Männer vor dem heranrasenden Motorrad wegtauchten, einfach zu verschwinden schienen. Sie hörte einen Ruf oder einen Schrei, der aber unterging im Donnern der Maschine. Das Jaulen der Sirene wurde zwischen den Hausmauern hin und her geworfen, bis es von einer Sekunde auf die nächste erstarb, genauso wie der Motorlärm.
    Ein Mann mit einem Schutzhelm stieg ab, ohne das Blaulicht aus zuschalten. Er trug Zivil – Jeans, Polo-Hemd, eine Lederjacke, Stiefe letten. Er bockte die Maschine auf, schlüpfte unter dem Helm hervor und hängte ihn an die Lenkstange. Dann ging er auf Ella zu. Er war mittelgroß und stämmig. Dicht vor ihr blieb er stehen, hob eine Hand, in der ein silberner Stern auf einer Polizeimarke blinkte, und sagte: »Doktor Bach, nehme ich an? Detective

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