Nukleus
verhindern? Dass Ihr Köder zu seinem wird. Dass ich – wie nennen Sie das? – neutralisiert – nennen Sie das so? – dass ich neutralisiert werde, bevor ich meinen Zweck erfüllt habe?«
»Na ja, nicht ganz. Ich dachte, ich rede vorher mit ihm, bringe ihn dazu, eine Wanze zu tragen, und finde so heraus – auf frischer Tat gewissermaßen –, um wen es sich handelt.«
Ella nahm einen großen Schluck von ihrem Drink, denn plötzlich war ihr kalt, und sie begann zu zittern, aber das lag nicht an der Kälte. »Bloß als Sie da ankamen, war er schon tot. Woher wissen Sie, ob er nicht doch selbst gesprungen ist?«
»So etwas sehe ich sofort.«
»Aber wie kommen Sie darauf, dass Ihr Secret Service und der deutsche BND gemeinsam angefangen haben, Annis Patienten umzubringen? Das ergibt doch nicht den geringsten Sinn?«
Cassidy sagte nur ein Wort, als sei damit alles erklärt: »Terrorismus.«
»Wollen Sie mir erzählen, die Geheimdienste haben ein neues Betätigungsfeld gefunden? Dass englische oder deutsche Beamte sich als Terroristen betätigen?«
Cassidy schnaubte abfällig. »Es gab schon Priester als Terroristen. Es gab Anwälte und Richter, die Terroristen waren. Es gibt Terroristen, vor denen macht der Premierminister einen Diener und Ihr Bundespräsident ebenso. Aber nein, die Männer, die Tori getötet haben, sind keine Terroristen, dazu stellen die sich viel zu ungeschickt an. Aber ich bin sicher, was wir gerade erleben, ist die Geburt einer neuen Art von Terrorismus, und unsere Mädchen und eure Mädchen tauchen gerade den Ellbogen ins warme Wasser, um her auszufinden, ob das Wasser die richtige Temperatur hat, um das Baby darin zu baden.«
»Könnten Sie sich etwas klarer ausdrücken? Und was hat Anni mit der ganzen Sache zu tun?«
»Ist bis jetzt alles nur eine Theorie«, murmelte er missmutig. »Ich habe auch noch keine Ahnung, wie Anni in das Bild passt.« Er schien kurz zu überlegen, dann beugte er sich jäh vor, so nah, dass seine Stirn fast ihre Nase berührt hätte. Das blaue Feuer seiner Augen schien sich direkt in ihr Gehirn zu brennen. »Glauben Sie, dass sie vielleicht Dreck am Stecken haben könnte? Anni? Dass sie nicht auf der Seite steht, auf der wir glauben, dass sie steht?«
Ella erwog eine Sekunde lang diesen Gedanken und schämte sich sofort dafür. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein.«
»Wieso sind Sie da so sicher?«
»Ich kenne sie.«
»Sie kannten sie.«
»Ich kenne sie immer noch. Wir sind Freundinnen.«
»Vielleicht hat sie sich verändert.«
»Aber nicht so.«
»Das hoffe ich. Ich kannte sie auch, und ich traue ihr alles Mögliche zu.«
»Männer trauen Frauen immer alles Mögliche zu.«
»Das ganze Geld, das sie auf einmal hatte. Ich habe immer gedacht, sie hätte das mit LifeBook verdient, mit ihrem Beitrag zum Konzept. Aber was, wenn es aus ganz anderen Quellen stammt? Haben Sie sich das nie gefragt?«
»Nein.« Jetzt schämte Ella sich noch mehr. Du hast dir dieselbe Frage gestellt und nicht mal an LifeBook gedacht. Sie sah Cassidy an. Sollte Anni wirklich in kriminelle Machenschaften verstrickt sein? War es das, was Cassidy andeutete? Alles in ihr sträubte sich gegen den Gedanken. Sie wich vor ihm zurück.
»Ich bin Ärztin, keine Polizistin.«
»Sind Sie ehrlich? Sind Sie eine ehrliche Ärztin?«
»Das kommt auf die Situation an. Sind Sie ein ehrlicher Polizist?«
Er antwortete nicht, und das hatte sie auch nicht erwartet.
»Ein ehrlicher Polizist hätte keine Frau als Köder benutzt, oder? Und er hätte eine Frau auch nicht derart zusammengeschlagen, dass sie nie wieder gesund wird. Ein ehrlicher Polizist wäre kein so absoluter Scheißkerl wie Sie!«
»Sie verwechseln Ehrlichkeit und Anstand, Ella.«
»Doktor Bach, ja?«
Cassidy schloss für einen Moment die Augen. Dann sah er sie direkt an.
»Ich glaube«, sagte er, »wir sollten eine Sache ein für allemal klären. Sie mögen mich nicht. Okay. Sie halten mich für ein brutales Arschloch, einen Drecksack, der Frauen verprügelt. Ja, ich gebe zu, ich habe Anni geschlagen. Nicht nur einmal, sondern häufig, immer wieder. Es war schrecklich. Jedes Mal, wenn es wieder passiert war, tat es mir hinterher leid. Ich habe mich fast zu Tode geschämt. Aber erst, als sie so schwer verletzt war, dass sie ins Krankenhaus musste, bin ich aufgewacht und habe erkannt, dass es nicht reicht, wenn es mir leidtut. Zu dem Zeitpunkt habe ich beschlossen, dass ich mich von ihr fernhalten muss.«
Der Flaschenhals
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