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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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hören.« Dann legte er auf.
    Ella ließ das Samsung auf den Tisch fallen. »Und, was machen wir jetzt?«
    »Eine kleine Spazierfahrt«, sagte Cassidy.

4 9
    Ella saß neben DI Cassidy in dem dunkelgrünen Rover der Metropolitan Police an der U-Bahn-Station London Bridge, Eingang St. Thomas Street, und beobachtete die Tür eines mehrstöckigen Backsteinhauses gegenüber der Gleisunterführung zum Borough Market. Hinter dem Gebäude bohrte sich ein Wolkenkratzer wie ein umgekehrter Eiszapfen aus Glas und Stahl in den Nachthim mel. Der steife Wind trieb Pappbecher und Pizzakartons über den Asphalt. Die Laternen spendeten blassgelbes Licht, das irgendwo zu versickern schien, bevor es die Straße erreichte.
    »Ist er das?«, fragte Ella, als ein weißhaariger Mann in einem grünen Dufflecoat das Haus verließ und zu einem Geldautomaten ging. Sie warf einen Blick auf den Bildschirm des Bordcomputers im Armaturenbrett des zivilen Polizeifahrzeugs, wo ein Foto aus dem Internet zu sehen war: Dr. Kenneth Gershenson, Professor der Psychologie, Doktor der Medizin, Analytiker, Therapeut und Autor von Das Gute und das Nichts. Sie verglich den weißhaarigen Mann und das Bild und erkannte selbst, dass es sich nicht um dieselbe Person handelte. »Vielleicht ist er wirklich nicht da«, sagte sie.
    »Er ist da.«
    »Woher wollen Sie das wissen?«
    »Instinkt«, sagte Cassidy und nahm einen Schluck aus dem Flachmann, den er unterwegs gekauft hatte. Der Geruch von Irish Malt erfüllte inzwischen den ganzen Wagen.
    »Das ist eine blöde Antwort«, sagte Ella. »Saublöd. Richtige Bullenscheiße. Genau wie: Darüber darf ich nicht reden!« Plötzlich hatte sie das Gefühl, keine Luft mehr zu kriegen. Etwas Heißes schoss ihr in den Kopf, und der Wagen und die Straße fingen an, sich um sie zu drehen. Sie beugte sich vor, soweit es ging, drückte die Arme gegen den Bauch und ließ den Kopf auf die Oberschenkel sinken wie ein Flugpassagier, der sich für einen Absturz wappnet.
    »Was haben Sie denn?«, fragte Cassidy. Seine Stimme klang verzerrt, als wäre er viel weiter entfernt. »Ist Ihnen nicht gut?«
    Ella wollte es nicht, sie wollte es wirklich nicht, aber sie konnte nichts dagegen tun: Ihre Brust würgte ein Schluchzen hervor, das nicht aufhörte. »Die Kinder«, keuchte sie, »die kleinen Babys … was für ein Scheißkerl … all die toten Babys …«
    »Ist ja gut«, Cassidy klang hilflos, »ich weiß … das ist eine Riesenschweinerei … Sie kriegen das toll hin … tapferes Mädchen …«
    »Ich bin Ärztin … ich heile Menschen … ich sehe nicht zu, wie sie sterben … aber auf einmal … auf einmal … ich habe das schon mal erlebt … ich will nicht … nicht schon wieder …«
    »Hier trinken Sie einen Schluck. Nur einen kleinen.«
    »Dieser Anschlag«, fing Ella jetzt erneut an, »der muss doch … muss doch genauso vorbereitet worden sein wie die anderen … von langer Hand. Das zeigt doch, dass die Grafik aus Annis Praxis einen überholten Stand wiedergibt und dass das Monster, das die Agenten ›Samson‹ genannt haben, schon längst neue Daten, Orte und Anschläge geplant hat.«
    »Oder dass Samson nervös wird und die nächsten Stufen schneller nimmt, weil er sich bedroht fühlt, durch Annis Verschwinden und das Auftauchen einer gewissen Ella Bach«, sagte Cassidy. »Und dadurch, dass wir uns begegnet sind.«
    Ella sah Cassidy an. »Das heißt, er hat Kandidaten, die auf Abruf bereitstehen, genau wie Kornack in Berlin.« Sie starrte durch die Frontscheibe, aber sie sah nicht die Straße, sondern die rekonstruierten Abschnitte aus Kornacks Textdatei.
    … Nein! Nein! Ich kann es nicht, ich werde mich nicht mitnehmen lassen in die Klinik! Ich will, dass die Kinder …
    »Er hat auch etwas von Kindern geschrieben, etwas, das er nicht wollte oder das er verhindern wollte, aber nicht verhindern konnte«, sagte sie und dachte: Saturn frisst seine Kinder. Was bedeutet das? Was ist Zufall, was ist Fehler oder Versagen und was Teil des Programms?
    Cassidy sagte: »Das, was dieser verrückte Patient Anni erzählt hat, gehörte jedenfalls so nicht zum Programm, sonst wäre er nicht kurz nach seinem Termin bei ihr ermordet worden. Und so kurz nachdem sie Dr. Gershenson angerufen hat.«
    Ella hielt einen Moment die Luft an. Dann fragte sie: »Was wollen Sie damit andeuten? Dass Gershenson Samson sein könnte?«
    Cassidy antwortete nicht, nahm nur einen großen Schluck aus der bereits halb leeren Flasche.
    »Ist das wieder Ihr

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