Nukleus
Franchise-Nehmer, die sich wie Satrapenstaaten unter der Oberhoheit von LifeBook auf der Plattform tummeln. Nur, wem LifeBook inzwischen gehört, das weiß niemand.«
Cassidy rutschte auf seinem Sitz herum. »Und wie dieser Usurpator genau vorgeht, wie er es en détail anstellt, aus Selbstmördern Mörder zu machen, wissen Sie auch nicht?«
Der Professor sah ihn ratlos an. »Nein.«
»Nicht die geringste Ahnung? Steckt er vielleicht Nadeln in Voodoo-Püppchen? Schneidet Hühnern den Kopf ab und bespritzt die Fotos der Opfer mit Blut? Tanzt in nackter Ekstase vor dem Kaminfeuer herum?«
Gershenson schüttelte den Kopf und sah dabei jetzt so unglücklich aus, dass Ella keine Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit hatte. »Bitte«, sagte er. »Kann ich jetzt zurück in meine Wohnung? Wenn Oliver aufwacht und ich bin nicht da …«
»Was ist dann?«, schnappte Cassidy.
»Er … er kann etwas schwierig sein. Jemand muss in der Wohnung sein.«
Ella wischte den feuchten Beschlag von der Scheibe neben ihrem Sitz und sah hinaus auf die Straße. Der Nieselregen schien wie ein feiner Schleier in der Luft zu hängen, und nur im Lichtkreis der Laternen sah man, dass es Regen war. »Wir möchten, dass Sie uns helfen. Vielleicht können Sie uns so bald wie möglich eine Liste mit Kliniken in London und Umgebung zukommen lassen, mit denen Annika bevorzugt zusammengearbeitet hat«, sagte sie traurig und entschlossen zugleich. »Vor allem die mit geschlossenen Abteilungen.«
5 2
Der schwarze Austin mit der Dachantenne parkte am nächsten Morgen vor Cassidys Wohnung auf der Straße schräg gegenüber, und Ella fragte: »Sind sie noch da?«
»Ja.«
»Derselbe Wagen?«
»Ja.«
»Wie viele Leute?«
»Drei.« DI Cassidy stand mit einer Tasse Kaffee am Fenster und sah hinunter auf die Straße, dann auf seine Armbanduhr. »Die sind schon die ganze Zeit hinter uns. her Seit gestern Nacht. Seit Gershensons Haus.«
»Große Mühe geben sie sich aber nicht«, sagte sie jetzt.
»Sie wissen, dass wir sie entdeckt haben.« Er nahm einen Schluck aus seiner Tasse. »Sie haben bloß keine Ahnung, was das für sie bedeutet.« Er stellte die Tasse ab, ging zu seinem Arbeitstisch und holte ein Handy aus einer ganzen Schublade voller Handys. »Wie weit sind wir?«
»Acht Vorfälle, die infrage kommen. Im fraglichen Zeitraum.« Ella saß in Cassidys Arbeitszimmer am Computer und suchte nach Meldungen über verwirrte Frauen etwa in Annis Alter, die in der Öf fentlichkeit für Aufsehen gesorgt und damit einen Polizeieinsatz ausgelöst hatten oder von Rettungsdiensten betreut werden mussten. Weitere Suchkriterien waren Aussehen und fehlende Identitätsnachweise der aufgegriffenen Person. »Fünf in London, zwei in Birmingham und einer in Liverpool.«
»Wo in London?«
»Der erste an der Vauxhall Bridge, in einem Pret a Manger in der Nähe des Bahnhofs. Eine Frau randaliert, pöbelt Gäste an und schmeißt mit Essen um sich. Etwa fünfunddreißig, gut gekleidet, kein Ausweis. Weigert sich zu sprechen, kein Sterbenswörtchen. Wird von der Polizei mitgenommen.«
»Nein. Die nicht.«
»Warum nicht?«
»Zu nah an Vauxhall Cross, wo MI5 und MI6 sitzen. Da stehen und hängen Dutzende vom Kameras, die das ganze Areal überwachen. Wenn das Anni gewesen wäre, hätten unsere Freunde da unten sich längst um sie gekümmert.«
»Dann eine im Hyde Park, die sich splitternackt mit den Schwänen am Teich angelegt hat.« Ella las schweigend weiter. »Nein, die kommt auch nicht infrage.« Und las noch weiter. »Aber die hier könnte passen: auch um die fünfunddreißig, hellbraune Haare, verwahrlost, hat im Tiefgeschoss von Harrods den Dodi-und-Diana-Gedächtnisschrein demoliert und gedroht, das ganze Kaufhaus in die Luft zu sprengen, weil es verflucht ist, ein Tempel des Teufels und so weiter.«
»Gutes Mädchen«, sagte Cassidy. »Steht da auch, wo sie hingebracht worden ist?«
»Nein, nur dass sie nach dem Notarzteinsatz von der zu Hilfe gerufenen Polizei mitgenommen und zur Untersuchung in die Me dicentre-Klinik an der Paddington Station gebracht wurde. Mehr nicht … doch, hier, ein Richter verfügte die anschließende Einweisung zur vorübergehenden stationären Beobachtung ins Royal Hos pital in der Royal Hospital Road …«
»Aufschreiben und vom anderen Computer an den Professor mailen. Nur den Namen der Klinik. Für einen Seelenklempner ist das unverdächtig. Wir schicken ihm ja noch mehr. Damit kann keiner sonst was anfangen,
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