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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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oder?«
    »Vertrauen Sie ihm wirklich?«, fragte Ella.
    »Haben wir eine Wahl?«
    »Er ist irgendwie merkwürdig.«
    »Irgendwie sind wir alle merkwürdig.« Cassidy kratzte sich mit dem Handy an der Stirn. »Mich beschäftigt mehr die Frage, was mit diesem Ziehsohn los ist, Oliver. Wieso ist er schwierig? Sie haben doch am Telefon mit ihm geredet. Kam er Ihnen irgendwie komisch vor?«
    »Nein. Er war sehr höflich und freundlich. Vielleicht etwas unsicher. Ganz und gar nicht schwierig. Aber das kann natürlich täuschen.«
    Obwohl sie in der vergangenen Nacht kaum sechs Stunden geschlafen hatte, war Ella hellwach. Sie spürte eine fast elektrische Spannung unter der Haut, als zuckten unablässig schwache Stromstöße durch ihr Nervensystem. Während sie weitersuchte, dachte sie an das, was Professor Gershenson ihnen über Anni erzählt hatte; an ihren Besuch bei Colin Blain.
    Was hast du in seinem Atelier vorgefunden oder erlebt? Warum bist du danach sofort verschwunden, ohne bei irgendjemandem eine Nachricht zu hinterlassen?
    Die Fragen begleiteten sie seit dem Gespräch mit dem Professor in der vergangenen Nacht. Nachdem Gershenson zurück in seine Wohnung gegangen war, hatte Ella Cassidy gebeten, sie in irgendeinem Hotel abzusetzen, aber der hatte entgegnet: »Sie denken doch nicht etwa, ich lasse Sie noch einmal aus den Augen, so kurz vor dem Ziel?« Die Straßen waren leer gewesen, und als sie auf der Blackfriars Bridge die Themse überquerten, hatte der DI ungefähr in der Mitte der Brücke mit einem Kopfnicken zur linken Brüstung gesagt: »Hier hat sich damals dieser italienische Bankier von der Vatikanbank aufgehängt. Mein Vater war damals Detective Sergeant beim Yard und einer der Ersten, die im Morgengrauen bei der über dem Wasser baumelnden Leiche eintrafen.«
    Selbst die City war um diese Zeit wie ausgestorben gewesen, und Ella hatte die ganze Zeit an Anni gedacht und sich vorgestellt, wie sie durch diese Straßen zu Colin Blain gegangen war, während das Böse ihr wie ein Schatten folgte. »Ich muss sie finden«, hatte Ella halblaut gemurmelt. Ich muss, ich muss, ich muss.
    Cassidy ging jetzt zu einem Metallschrank mit einem Tresorschloss, in das er eine vierstellige Ziffernkombination eintippte. Er holte einen Metallstab heraus, der einem dünnen Gehstock ähnelte. Den Stab verband er mit einem Kabel und das Kabel mit der Abhöranlage auf dem Arbeitstisch. Er drückte einen Knopf und zwei Tasten, dann ging er mit dem Stab zum Fenster und richtete ihn wie einen Laserpointer auf die Straße, dorthin, wo der Austin des MI6 stand. »Die vergessen immer, dass ich früher einer von ihnen war«, sagte er. »Wollen Sie mal hören, was da unten so geredet wird?«
    Ella zuckte mit den Schultern.
    Er drückte auf einen Knopf am Griff des Stabs, und gleich darauf hörte sie leise Musik, gedämpft und verzerrt, als käme sie aus einem Ohrstöpsel. Sie brauchte ein paar Sekunden, bis sie das Stück erkannte, Der Frühling aus den Vier Jahreszeiten . Dann erklangen andere Geräusche, die sie auch nicht sofort einordnen konnte: das Rascheln umgeblätterter Buchseiten, unregelmäßige Atemlaute, das Schaben von Kleidung an Sitzpolstern. Cassidy brummte enttäuscht und schaltete das Mikro wieder aus. Er ging zu dem Tonbandgerät auf dem Tisch und fing an, in dem Haufen von Kassetten zu wühlen, die daneben la gen. »Warten Sie mal, mir ist da was eingefallen«, sagte er. »Die haben sich doch darüber unterhalten … muss auf einer der Kassetten hier sein … irgendwas, das unser Professor gestern Nacht gesagt hat.«
    Er schob eine Kassette in das Gerät und ließ sie vor- und zurücklaufen, lauschte kurzen Fetzen von unverständlichen Micky-Maus-Stimmen und tauschte sie dann gegen eine andere aus, mit der er ähnlich verfuhr. Abrupt hielt er das Band an, spulte etwas zurück und drückte die Wiedergabetaste. »Hier!«
    Ella erkannte eine der beiden Männerstimmen von den Abhörbändern, die Cassidy ihr gestern Morgen vorgespielt hatte. »Alles eine Frage der Suchprogramme«, sagte der Mann, der wie eine Eiserne Lunge atmete. »Zuerst braucht er das richtige Profil, deswegen fängt er bei LifeBook an – erst bei LifeBook, dann bei der Academy of Solace, da kriegt er die groben Umrisse der Zielperson, ihr LifeTree-Profil, die E-Mail-Adressen, mit denen sie sich bei Yahoo, Google- Mail, T-Online und so weiter einloggt, natürlich nur mit den Usernamen. Das gibt er alles bei Google ein. Mit großer Wahrscheinlichkeit

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