Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
Vom Netzwerk:
Eingänge, sondern nur Spam-Mails fand, rief sie ihre LifeBook-Seite auf. Sie stellte fest, dass Scharnhorst und Tori Farrow von der Liste der vorgeschlagenen Freunde entfernt worden waren, doch Alexander Meyer, der Mediziner aus Berlin, war mit der Empfehlung Könnte dir sehr hilfreich sein! erneuert worden. Auch diesmal reagierte sie nicht auf den Vorschlag.
    Cassidy summte leise vor sich hin, Vivaldis Frühling. Plötzlich ruckte sein Kopf hoch, als wäre er ein Tier, dem eine vertraute Witterung zugetragen worden war. »Das ist ja … hey «, sagte er halblaut, und dann etwas lauter: »Passen Sie mal auf, Doc, hier: Vor einer Woche ist in einer Absteige in Lambeth eine Frau in der Badewanne gefunden worden, Alter: zwischen dreißig und vierzig, schlank, braune Haare, keine Papiere, die Unterschrift auf dem Anmeldeformular unleserlich … Liza irgendwas. Vermutlich Suizidversuch mit Tabletten, von denen man jede Menge in der Nasszelle gefunden hat. Wurde entdeckt, weil die Wanne übergelaufen ist, das Wasser lief schon unter der Haustür durch. Die Frau war nackt, konnte wiederbelebt werden, drehte danach durch, offenkundig verwirrt. Wie finden Sie das?«
    Das elektrische Flimmern unter Ellas Haut verwandelte sich in einen Stromstoß. »Wo war das Hotel – in Lambeth?«, sagte sie. »Und sie hat sich Liza genannt? Das muss sie sein! Während des Medizinstudiums haben wir beide Liza of Lambeth gelesen, den Arztroman von Somerset Maugham. Das ist eine Nachricht für mich!«
    Sie sprang auf, fuhr sich mit den Händen durchs Haar. »Kein Strick, keine aufgeschnittenen Pulsadern. Kein Sprung aus dem Fenster. Sie weiß, wie man Tabletten dosieren muss, damit sie nicht tödlich wirken. Steht da, wo sie hingebracht worden ist?«
    »Ja, in die Mills Clinic in Wandsworth.«
    Ella schloss einen Moment die Augen, ihr Herz raste. »Das ist sie«, sagte sie noch einmal. »Wo ist Wandsworth? Wie schnell können wir da sein?«
    »Immer mit der Ruhe«, mahnte Cassidy und klappte seinen Rechner zu. »Wir haben vielleicht nur einen Versuch. Abwarten, was der Professor dazu sagt. Aber keine E-Mails mehr!« Er griff erneut zu dem unregistrierten Handy und drückte die Wahlwiederholung. Nach einer kurzen Pause sagte er: »Jetzt.« Mehr nicht. Dann ging er wieder zum Fenster, griff zum Richtmikrofon und schaltete es an. »Kommen Sie her, Doc!« Er deutete auf ein Fernglas, das vor ihm auf der Fensterbank lag. »Gleich geht da unten ein guter Film ab.«

5 3
    Sie setzte das Fernglas an die Augen. Der Austin stand halb unter einer Platane verborgen, halb im Licht einer Laterne auf dem Gehweg. Ella konnte einen Mann auf dem Rücksitz erkennen und einen, der neben dem Fahrer saß. Der Beifahrer hatte die Lehne seines Sitzes so weit zurückgestellt, dass er mit den Augen gerade eben noch aus dem Seitenfenster schauen konnte, sobald er sich entschloss, sie wieder zu öffnen. Er trug einen dunkelgrauen Rollkragenpullover, hellblaue Jeans und rotgrüne Sneakers. Die Sneakers und die darin steckenden Füßen lagen, an den Gelenken gekreuzt, über dem Handschuhfach auf dem Armaturenbrett. Er hatte rote Haare, die mit Gel straff an den Schädel frisiert waren wie ein kupferner Helm.
    Der Mann hinter ihm trug eine Parkajacke und hielt ein Buch im Schoß. Sein Kopf wippte im Takt der Musik, die leise aus den Ohrhörern seines iPod drang und von Cassidys Richtmikrofon in die Lautsprecher seiner Abhöranlage gezaubert wurde. Er sah aus wie ein Student im ersten Semester; die Gläser seiner metallgerahmten Brille blinkten im Rhythmus von Vivaldis Sommer.
    Den Fahrer konnte Ella nicht sehen, und sie konnte auch nicht erkennen, ob noch jemand neben dem Mann im Parka saß. »Das Treffen mit dem Professor ist in einer Stunde«, sagte sie drängend. »Und bis wir da sind, brauchen wir bestimmt noch eine halbe.«
    Der Mann mit dem iPod kicherte plötzlich und blätterte eine Seite um. Danach blätterte er wieder zurück, kicherte noch einmal und las schließlich auf der nächsten Seite weiter.
    »Was liest du da eigentlich?«, fragte der Mann mit den roten Haa ren, ohne die Augen zu öffnen. Sein Englisch hatte einen leichten Akzent, vermutlich deutsch. Der Student mit dem iPod antwortete nicht. »Er hat dich gefragt, was du da liest, Ian!«, sagte jetzt der Fahrer.
    Der Kopf des Studenten ruckte hoch. »Salman Rushdie«, antwortete er viel zu laut. » Die Satanischen Verse .«
    »Das war ein Scheißjob damals – mit Rushdie und seinem stinkenden indischen

Weitere Kostenlose Bücher