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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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das Krankenhaus vorher zu evakuieren, ist die Station mit den Säuglingen hier hinter mir das erste Ziel und danach die ganze Kinderklinik. Bei der kleinsten Auffälligkeit werden alle sterben. Wenn ihr das seht oder hört, müsst ihr Folgendes wissen: Kein Patient darf verlegt oder entlassen werden. Es darf auch kein neuer Patient aufgenommen werden. Jeder, der gerade in der Klinik ist, wenn ihr das hier seht – Ärzte, Schwestern, Pfleger – alle müssen dableiben. Niemand darf das Krankenhaus betreten. Keine Besucher! Keine Polizei! Keine Einsatzkräfte!«
    Er schaltete das Handy auf Stand-by, und das Bild erlosch, dafür war er jetzt aus einer anderen Perspektive zu sehen, von einer weiteren Kamera aufgenommen, die schräg auf ihn hinabschaute. Vor der Kamera schien sich eine Art Gitter zu befinden. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Ella begriff, dass es sich um eine Webcam handelte, die mit den Giftbehältern und dem Sprengstoff hinter einem Belüftungs gitter der Klimaanlage angebracht war. Sascha trug jetzt einen grünen Kittel, eine weiße Hose und weiße Turnschuhe, deren Gummisohlen auf dem Linolboden quietschten. Als er um eine Ecke bog, wurde er von einer anderen Kamera erfasst, ebenfalls von schräg oben, aber diesmal frontal. Er hat überall in der Klinik Webcams angebracht, schoss es Ella durch den Kopf.
    In der rechten Hand hielt Sascha das Clipboard, in der linken das Handy. Leise sagte er: »Ich habe das Handy immer an, denn wenn ich es ausschalte, kommt es mir vor, als würde ich mich selbst ausschalten. Wenn ich es nicht bei mir habe, geht es mir schlecht. Auch wenn ich es bei mir habe, aber nicht einschalten kann, geht es mir schlecht. Ich habe dann Angst, dass die Welt ohne mich weitergeht. Kennt ihr das? Na ja, ohne mich geht sie ja tatsächlich bald weiter. Und ohne ein paar von euch auch. Aber geht die Welt wirklich weiter, wenn man nicht mehr dabei ist? Irgendwie glaube ich nicht.«
    Mit wem redet er da?, dachte Ella. Wie viele Leute sehen das wohl gerade? Die Hälfte des Displays war jetzt von seinem schlecht ausgeleuchteten Gesicht ausgefüllt. »Ich danke denen von euch, die mir geschrieben haben, manche zigmal am Tag, und die, denen ich in letzter Zeit nicht mehr antworten konnte, denen antworte ich jetzt. Hier. Ich danke euch auch für die Links, die ihr mir geschickt habt, die Clips, die Nachrichten, auf die ihr mich hingewiesen habt. Ich werde euch nicht enttäuschen.«
    Er verließ die Station und folgte dem von gedimmten Lampen schwach erhellten Korridor zum Fahrstuhl, wo er von wieder einer anderen versteckten Kamera erfasst wurde. Auf halber Strecke begegnete er einer Nachtschwester, die ihm nur kurz zunickte, sonst aber keine Aufmerksamkeit schenkte. Sie sah anscheinend nur einen jungen Arzt mit Stethoskop und Clipboard, und das war so, als wäre er unsichtbar.
    Sascha drückte den Rufknopf des Fahrstuhls, und das feine Mikro des Handys übertrug sogar das Rattern der Stahlkabel, an denen die Kabine hing. Als sie hielt, fiel Licht durch die Ritzen der Schiebetüren, die sich ruckelnd öffneten. Vorsichtshalber tat Sascha, als studiere er das oberste Blatt auf seinem Clipboard, bevor er den Lift betrat. In der Kabine standen zwei Männer. Er nickte ihnen zu. Einer erwiderte das Nicken, der andere räusperte sich nur. Sascha drückte den Knopf für das erste Untergeschoss, in dem sich auch die Notaufnahme befand. Die Tür schloss sich, und der Lift fuhr abwärts, und auf einmal wurde eine Kamera in der Knopfleiste aktiviert, die das Innere der Kabine zeigte. Ella konnte sehen, dass die Männer Sascha genau in Augenschein nahmen, mit scharfen, dunklen Augen. Es war ein Blick, den sie kannte, aber es dauerte einige Sekunden, bis ihr einfiel, woher.
    Keine Polizeibeamten, das sah man sofort. Türken vielleicht, oder Kurden. Wahrscheinlich hatten sie einen Enkel oder eine Tochter besucht, obwohl die Besuchszeit längst vorbei war, aber daran hielten diese Familien sich sowieso nicht. Plötzlich vereinigten sich die beiden Gedankenstränge: Einen der beiden Männer hatte Ella bereits bei Halil Abou-Khan gesehen, er gehörte zu seinem Clan.
    Sascha spielte weiter den Arzt, der ein Aufnahmeformular studierte. Seine Finger öffneten und schlossen sich um das Smartphone in seiner Hand, als wäre es heiß oder klebrig. Der Lift hielt, und die beiden Männer stiegen grußlos aus. Die Tür schloss sich, die Kabine glitt zum nächsten Stockwerk, und als die Tür sich wieder öffnete, war

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