Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
Vom Netzwerk:
einmal viel heller. »Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht.« Er hielt das Handy über den Mann in dem roten Overall und filmte den Sterbenden. Etwas Blut trat aus einer Schnittwunde in der Kehle, rann den Hals hinunter und glitzerte noch lebendig, als der Tod schon ganz in den nun still liegenden Körper geschlüpft war. »Ich weiß nicht, was er hier wollte«, sagte Sascha. »Er hätte nicht hier sein sollen.«
    Ein Fehler, dachte Ella, natürlich; das ganze Programm steckt voller Fehler. Sie hörte Sirenen, und einen Moment lang dachte sie, es wäre in Berlin, eine Ambulanz, die zu der Notaufnahme ins erste Untergeschoss hinunterfuhr. Dann bemerkte sie die plötzliche Unruhe auf dem Gang, als die Sirenen näher kamen. Cassidy erschien, notdürftig verarztet, neben ihrer Bank. »Waren Sie das?«, fragte er. »Haben Sie die Polizei gerufen?«
    »Nein. Waren Sie das nicht?«
    »Wo steckt Ihr Edward Scissorhands?«, knurrte er ausweichend.
    »Er müsste jeden Moment eintreffen«, sagte Ella. Sie schaltete das Handy aus und stand auf. »Ich geh frische Luft schnappen. Mal sehen, wo er bleibt.«
    Ella ging zum Ausgang der Notaufnahme. Bei jedem Schritt verspürte sie Schmerzen in den Hüften und im Rücken. Ich muss Abdallah das Link zu dem Livestream von Sascha schicken, dachte sie. Als sie die Araber in dem Fahrstuhl gesehen hatte, war ihr eine Idee gekom men, wahrscheinlich verrückt, und der Kommissar würde sie ablehnen und trotzdem …
    Sie sah, dass es vor der Klinik jetzt von uniformierten Polizeibeamten wimmelte – mehrere Streifenwagen, ein Zivilfahrzeug und ein Mannschaftsbus standen auf der Einfahrt. Die Sirenen waren ausgeschaltet, aber die Blaulichter auf den Dächern und vorn über den Armaturen blitzten lautlos weiter. Ein paar Polizisten liefen auf den Ein gang der Notaufnahme zu, die anderen steuerten das Hauptportal an. Vom Tor zur Straße her näherte sich ein weiteres Paar Scheinwerfer, und mit einem Ruck, der ihr durchs Herz fuhr, erkannte Ella, dass es sich um eins der schwarzen Londoner Taxis handelte.
    Das Taxi hielt hinter den Polizeiwagen, und Julian stieg aus. Er hatte sie schon erspäht und winkte ihr zu, während er den Fahrer be zahlte. Mit großen, ausgeruhten Schritten kam er über die Kieszufahrt auf sie zu, seinen Trenchcoat über den Arm geworfen. »Dr. Livingston, nehme ich an«, sagte er.
    »Julian«, sagte Ella, ein paar Herzschläge lang fast wie in einem anderen Leben.
    Er blieb vor ihr stehen, betrachtete sie mit gerunzelter Stirn. »Was ist passiert?«, fragte er.
    »Nimm mich in den Arm, bitte«, sagte sie. Er ging zur ihr, die letzten Schritte, und umarmte sie. Sie ließ ihre Stirn gegen seinen Mund sinken. »Danke, dass du gekommen bist«, sagte sie.
    Er legte ihr eine Hand an das Kinn, hob es mit einer sanften Bewegung, bis seine Lippen ihren Mund berühren konnten. Sie schloss die Augen und dachte, dass sie zum ersten Mal bei seinem Anblick einen elektrischen Schlag verspürt hatte.

6 3
    Es gab nur ein Bett in dem Zimmer, und in dem Bett lag Annika im Sterben. Die obere Hälfte ihres Kopfes war mit einem Gazeturban umwickelt. Ein Infusionsschlauch führte zu einer Nadel in ihrem Unterarm, ein weiterer verschwand zwischen den Lippen. Ihre geschlossenen Lider wirkten dünn, fast durchsichtig wie Bienenflügel. Das einzige Lebenszeichen war das Piepen des Herzmonitors neben dem Bett.
    »Der Splitter ist im unteren Hinterhauptbein eingedrungen«, erklärte Dr. Fleming, Facharzt für Anästhesie und offenbar auch Chirurg in der Mills Clinic. Er war kurz vor der Polizei eingetroffen, die er sofort informiert hatte, nachdem er einen schockierenden kurzen Film im Internet gesehen hatte, der einen seiner Patienten, mit einer Handgranate in der Faust, im Aufenthaltsraum der geschlossenen Abteilung zeigte.
    »Der Splitter hat das Kleinhirn gestreift, das Rückenmark und die Arteria vertebralis verfehlt und ist dann in der linken Großhirnhälfte stecken geblieben. Dabei hat er eine Blutung verursacht, die auf den Hirnstamm drückt. Bei der Erstversorgung trat Hirnbrei aus der Wunde. Wir haben sie gleich gesäubert und die Blutung abgedeckt. Längs des Wundkanals sind ein paar Knochensplitter in den Kleinhirn bereich gedrungen. Ihr Glück war, dass sich alle im selben Moment auf die Granate gestürzt haben, bevor sie detoniert ist. Die Körper der Toten haben das meiste abgefangen. Verdammtes Glück, wenn Sie mich fragen.«
    Fleming trug einen grünen Kittel, der nicht

Weitere Kostenlose Bücher