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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Sascha auf der Ebene des ersten Untergeschosses. Fast wie ein Süchtiger schaltete er das Handy wieder ein, hielt es in Brusthöhe, als er den Lift verließ.
    Vor der Kabine sah es aus wie im Untergeschoss eines Flughafens: breite Gänge, von Leuchtstoffröhren erhellt, graue Betonwände; schwere Eisentüren, die zur Küche, zur Wäscherei oder zum Traforaum führten. In den meisten Bereichen wurde noch gearbeitet, und kleine Elektrokarts mit Fahrern in Overalls zogen Metallcontainer von einem Ende des Campusgeländes zum anderen. Keiner der Fahrer nahm Notiz von Sascha. Auch die anderen Männer und Frauen vom Personal, denen er begegnete, kümmerten sich nicht um ihn. Niemand hielt ihn auf, niemand fragte ihn, was er wollte.
    »Ich bin auf dem Weg ins zweite Untergeschoss«, erklärte er mit gedämpfter Stimme, »das ist in der Nordschiene der Klinikanlage, wo sich die Campustechnik befindet. Ich habe die Pläne für sämtliche Module, für die Heizung, die Luftversorgung und die Elektrik auf allen Ebenen und in jedem Gebäude. Ich habe auch die Schlüssel, die man für diese Ebene benötigt, einen für den Lift und auch die für die Eisentüren. Seht ihr, niemand nimmt Notiz von mir – es ist ganz einfach. Ich bin der unsichtbare Mann, der erst digital sichtbar wird, auf Film, auf YouTube. Der Mensch der Zukunft.«
    Er filmte, wie er an ein paar Containern mit schmutziger Wäsche vorbei zur Nordschiene ging, wo sich die Fahrstühle zum Untergeschoss befanden. Es war unheimlich, dieser verrückte Mann allein in den kahlen, von Containern und schwarzgelb gestreiften Leitpfosten begleiteten Gängen mit dem hellen Linolboden voller Reifenspuren, ein Geist der Apokalypse. Als er den Lift erreicht hatte, sperrte er ihn mit seinem Schlüssel auf, wobei er erzählte, wie er ihn sich beschafft, kopiert und wieder zurückgebracht hatte. Es wirkte, als führte er Interviews mit sich selbst für die Nachwelt, über die Vorbereitung und Durchführung der Aktion.
    Im zweiten Untergeschoss angelangt, verharrte er einen Moment in der warmen, trockenen Dunkelheit vor dem Lift, um zu lauschen. »Hört ihr das?« Er hielt das Handy hoch. »Die Heizung. Inzwischen kenne ich hier unten jedes Geräusch, das Brummen der Generatoren, das Ticken der Stromzähler. Alles hört sich an wie immer. Man kommt sich vor, als wäre man im Inneren einer Maschine, selbst ein Teil einer Maschine, und das hier, mein Handy, ist ein Teil im Teil – so was wie die Seele, mit der man sendet und empfängt. Hier unten ist mein Basislager, in einem Schaltraum. Versucht gar nicht erst reinzukommen, die Tür ist aus Eisen, und ich kann alles von da aus fernzünden.«
    Langsam bewegte er sich auf den Schaltraum zu. Als er um die nächste Ecke bog, sah man, dass die Tür halb offen war und schwacher Lichtschein herausfiel. Der Lichtschein nahm zu und wieder ab, schien zu wandern. Überrascht blieb Sascha einen Moment stehen, dann setzte er sich wieder in Bewegung, lautlos jetzt. Er schlich auf die Tür zu und spähte in den von schwachem Summen erfüllten Raum dahinter, durch den alle Strom- und Telefonleitungen der Anlage liefen. Das Handy spähte mit. Ein Mann in einem Overall wie dem, den Sascha selbst in einem früheren Clip getragen hatte, leuchtete mit einer Stablampe in das Gewirr der Kabel, Rohre, Transformatoren und Zähler. Der Strahl erfasste ein iBook, das an eins der Kabel angeschlossen war. Neugierig beugte der Mann sich vor.
    Sascha legte das Handy auf den Boden vor der Tür, ohne es auszuschalten. Mit einem Quietschen seiner Gummisohlen betrat er den Raum, das Clipboard in der rechten Hand. Jetzt sah man ihn nur noch bis zu den Oberschenkeln. Der Mann im Overall fuhr wieder hoch und drehte sich um. Er wurde ebenfalls zu einer Gestalt ohne Oberkörper. Die Füße der beiden Männer schienen zu tanzen, der Lichtstrahl der Lampe schlug wild hin und her. Das Scharren der Füße mündete in einem halb unterdrückten Schrei, einem Röcheln. Dann kippten die Beine in dem roten Overall zur Seite. Die Stablampe fiel klirrend auf den Steinboden, wo sie hin und her rollte, hin und her, bis der Körper des Mannes in dem roten Overall auf sie fiel. Sein Gesicht war dem Handy zugewandt. Seine Lippen waren feucht wie die des Säuglings, dem der Schnuller aus dem Mund gerutscht war.
    Saschas Beine kehrten aus dem Schaltraum auf den Gang zurück, er bückte sich und hob das Handy auf. »Das war nicht vorgesehen«, sagte er bestürzt, und seine Stimme klang auf

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